Der Räuber
Robert Walser / Krähenbühl & Co.Er ist ein Schweizer Kleinbürger, der sich nicht um Konventionen scheren will und sie doch peinlich genau wahrnimmt. Ein Mann und eine Frau spielen und erzählen vom Räuber, von Edith und von Wanda. Frauengeschichten hat der Räuber am liebsten. Vom angedeuteten Techtelmechtel bis zur lustvoll quälerischen Beziehung betreibt er mehrere Projekte gleichzeitig. Er ist ein frecher Geist, ein Provokateur – einer, der sich nicht traut. Wie alle Texte von Robert Walser ist auch der Räuber-Roman ein Tanz mit den Möglichkeiten. Nur ist er der radikalste von Walsers Tänzen. Das Niedliche, Idyllische tritt zurück, und es beginnt eine intensive Selbstbefragung einer Schweizer Identität. Sich als Sonderfall vorkommen und gleichzeitig fast schmerzhafte Bescheidenheit vorgeben, das ist die Krankheit des Räubers, das ist seine Schweizer Krankheit – hochfahrend und wehleidig zugleich! Und natürlich ist der Räuber-Roman auch ein grosses Spiel, in dem Figuren, Ansichten und Geschlecht verrutschen.
Krähenbühl & Co. wurde von Sebastian Krähenbühl 2003 gegründet und beschäftigt sich auf unterschiedliche Weise und in unterschiedlichen Arbeits-Kooperationen mit Identitäten, Selbsterzählungen und Lügen. Mit «Die Bedürfnisse der Pflanzen», «SMITT» und «Wasserfalle» waren schon mehrere Arbeiten von Krähenbühl & Co. am Theater Winkelwiese zu sehen.
Fotos: Judith Schlosser
PRESSESTIMMEN
Regisseur Niklaus Helbling scheut sich nicht, die tragikomische Geschichte des Räubers, dieses Aussenseiters und Sonderlings, mit allerlei technischen und turnerischen Überdrehungen in Fahrt zu bringen. Sedl und Krähenbühl sind auch den bisweilen akrobatischen Anforderungen bestens gewachsen.
Was aber besonders wichtig ist: Die Sprache geht dabei nicht verloren. Im Gegenteil: Robert Walsers überraschender, kunstvoll sprunghafter und geheimnisvoll funkelnder Text bleibt das Ereignis des Abends. (Karl Wüst, SDA Schweizerischer Feuilletondienst, 17.03.2017)
Ach, es ist ein Zeug mit diesem Robert Walser!
(…) bei aller Freude am Rumalbern geben just Walsers Neckereien, sprachlichen Salti und Feuerwerkereien dem Theater sehr wenig Raum, wenn keine ungute Konkurrenz zwischen Bühne und Text entstehen soll.
Helbling macht nicht zuletzt angesichts dieser Schwierigkeit vieles richtig. Nicht nur, weil er mit dem hemdsärmligen Sebastian Krähenbühl und der antilopenhaften Mareike Sedl zwei Schauspieler gewonnen hat, die wissen, dass sie sehr gut sind. Und die deshalb den Dauerbeweis ihres Könnens nicht nötig haben. Stattdessen können die beiden eine Reihe von szenischen Andeutungen und Beschreibungen zu einem Abend staffeln, in dem Robert Walser seinen nötigen Freiraum hat, sich sprachlich austoben kann, während die Spieler als Theater- und Textarbeiter im Bühnenbild von Sara Giancane die Räume umbauen, sich als Clowns schminken, Kostüme wechseln oder mit den neckischen Kamaraköfferchen rumhantieren, mit denen sie sich als graues Vieobild verdoppeln können. (Andreas Tobler, Tages Anzeiger, 18.03.2017)
Hat man je ein charmanteres Provisorium gesehen? Ein kleines Festzelt bildet das Zentrum dieser Rumpelkammer. (…)
Mit dieser Textmöblierung setzt Giancane den Gestalten aus Robert Walsers Romanen, den Titanen des Zauderns und den Flaneuren ohne feste Bleibe, ein vergängliches Denkmal. In dieser Kulisse filmen sich die Figuren aus dem «Räuber»-Roman mit zwei mobilen Kameras, die in Köfferchen versteckt sind. Die Schwarz-Weiss-Videos werden auf den Paravent projiziert und flimmern über einen Fernsehbildschirm. Solch witzige Einfälle passen zum phantasiebegabten Schweizer Theatermacher Niklaus Helbling.
Das Duo lockt die Zuschauer in einen Irrgarten aus Abschweifungen und Ausschweifungen. Bisweilen verheddern sich die zwei Schauspieler selber in den Sätzen, was man ihnen in Anbetracht der Inkohärenz des Textes verzeiht. Das Spiel im Spiel treibt der Regisseur auf die Spitze.
Schenkelklopfer bei Robert Walser? Aber ja! Etwa in jener Szene, in welcher der Räuber einen Arzt aufsucht und ihm anvertraut, dass er sich manchmal als Mädchen fühlt. Der Schauspieler Krähenbühl gibt hier gekonnt den Verklemmten. Und als er aus der Kiste steigt, in der er zuvor gesessen hat, trägt er Strapse und spielt nun Selma – eine gelungene, weil überraschende Einlage. Auch Edith hat sich unterdessen gewandelt, sie steht im Anzug da. Fortan verkörpert sie den Erzähler und Räuber. Der Rollentausch führt zu verwirrenden Erotikszenen. Es ist klug, wie Helbling die Travestie als Mittel einsetzt, um die Walsersche Uneindeutigkeit zu versinnbildlichen. (Katja Baigger, NZZ, 20.03.2017)
Die gesamte Klaviatur menschenmöglicher Regungen im zwischenmenschlichen Gefühlslabyrinth wird hier in schönstmöglich kompakter Verschnörkelung bespielt, als wären neben Text und Schauspiel auch noch zig weitere Instrumente an der Komplettierung dieser Komposition beteiligt. (…) Oder simpler: Schlicht bezaubernd.
Dieser Grundeindruck wird nochmals gestützt von der augenscheinlichen Harmonie zweischen den beiden Schauspielenden, (…) So wird aus der Freude über den geglückten Transport des textbasierten Glücksgefühls auf den konzentrierten Betrachter eine nochmals gesteigerte, von rundum geglückter Bühnenarbeit regelrecht beschenkt worden zu sein. (Thierry Frochaux, P. S. -Die Linke Zürcher Zeitung, 24.03.2017)
Regie Niklaus Helbling Mit Sebastian Krähenbühl, Mareike Sedl Textfassung Niklaus Helbling Bühne und Kostüme Sara Giancane Licht und Technik Tashi-Yves Dobler Lopez und Paul Schuler Produktionsleitung Sebastian Krähenbühl Koproduktion Theater Winkelwiese, Theater Tuchlaube Aarau Gastspiele ThiK Baden, Phönix Theater Steckborn Gefördert durch Fachstelle Kultur Kanton Zürich, Pro Helvetia Schweizer Kulturstiftung, Ernst Göhner Stiftung, MIGROS-KULTURPROZENT, Jürg George Bürki-Stiftung, SIS Schweizerische Interpretenstiftung