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BLUETSUUGER - EIN VAMPIRSCHWANK

«Schwank der Vampire»
von Anne Suter
NZZ, 28.10.2011


Der «Vampirschwank» im Theater Winkelwiese ist eine originelle, höchst vergnügliche Auseinandersetzung mit dem Thema Ausländerfeindlichkeit.

Etwas bleibt sich gleich: Die Vorstellung dauert, wie fast immer im Theater Winkelwiese, siebzig Minuten ohne Pause. Sonst ist jedoch alles anders als sonst. So wird auf der von historischem Gemäuer umrahmten Bühne, wo es für gewöhnlich eher ernst zu- und hergeht, für einmal ein Schwank gespielt. Ein «Vampirschwank», um es genau zu sagen. «Bluetsuuger» heisst das Theaterstück von Matto Kämpf und Christina Rast, das im Frühling in Bern uraufgeführt wurde und nun in Zürich zu sehen ist.
Hansruedi aus Allschwil (Mathis Künzler) ist ein Bilderbuch-Bünzli mit Schnurrbart und stramm gescheiteltem Haar. Er faltet das Toilettenpapier mit System und steckt das karierte Hemd sorgfältig in die hellblaue Unterhose, nachdem er sein Geschäft erledigt hat. Doch es gibt ein Problem mit der zuoberst auf einem mit rotem Teppich verkleideten Podest thronenden Toilette (Ausstattung: Franziska Rast). Sie ist nämlich schmutzig, und Hansruedi hat eine Allergie gegen körperliche Arbeit, wie übrigens neuerdings auch die Italiener in der Schweiz.
Also bestellt Hansruedi im Osten, «bi däne unterentwicklete Halbaffe», eine neue Putzkraft – und schon steht Drakuslav aus Transsylvanien (Diar Xani) vor ihm. Der elegante Herr mit den langen Eckzähnen interessiert sich allerdings weniger fürs WC-Putzen als vielmehr für die zwei Frauen im Haus: Hansruedis temperamentvolle Gattin Primadonna (Grazia Pergoletti) und seine akademisch gebildete Tochter Erika (Anja Tobler).
Den beiden gefällt der schöne Fremde, der sich immer wieder unauffällig ihrem Hals nähert, durchaus auch, doch verscheuchen sie ihn unabsichtlich: mit Knoblauch im Raclettekäse beziehungsweise dem Kreuz in der Schweizer Fahne. Drakuslav beisst schliesslich Hansruedi, worauf dieser, nun ebenfalls mit langen Eckzähnen und kreideweissem Gesicht, die Toilette putzen muss.
Dieser «Vampirschwank» mit seinen stark überzeichneten Figuren ist eine originelle, höchst vergnügliche Auseinandersetzung mit dem Thema Ausländerfeindlichkeit, die gegen Schluss etwas ins Abstruse abdriftet. Als Zuschauerin ist man bestens unterhalten – wobei einem das Lachen bisweilen in der Kehle steckenbleibt. Dann etwa, wenn Hansruedi seine frühere Putzkraft, den alt gewordenen Giovanni, über den grünen Klee lobt und im selben Atemzug anfügt: «Eigehändig hani en denn zrugg uf Sizilie brocht. Mir könne jo nid alli durefuettere, wenn si nümme könne schaffe.»

NZZ/ Anne Suter, 28.10.2011 10.2011.PDF | 25 KBytes

«WC-Bürstchen und Käseallergie»
von Pia Strickler
Der kleine Bund, 30.05.11

Man muss die Dinge beim Namen nennen. Ein Tisch ist ein Tisch, und wir haben einfach zu wenig Platz hier - fürs Pendeln und Grillieren, für Bäume und Tiere, die Lieblingsbeiz ist auch immer voll. Voilà! Es wird jetzt Klartext gesprochen auf der Schlachthaus-Bühne, die da bevölkert ist von Hansruedi (Urschweizer und «Blick»-Leser), seiner Frau Primadonna (italienische Seconda mit Schweizer Pass) und Tochter Erika (studiert Hygienik und engagiert sich für die Integration von Ausländern). Aber zunächst ist nicht die helvetische Enge das Hauptproblem der Familie, sondern ihre stinkende WC-Schüssel. Wer soll sie putzen?

Eine Lösung bieten Matto Kämpf (Text) und Christina Rast (Regie) in «Bluetsuuger - ein Vampirschwank» an. Das Stück rund um die Schweizer Kleinfamilie ist am letzten Samstag im Schlachthaus-Theater uraufgeführt worden - die Lösung heisst Drakuslav. Ein Telefon genügt und schon steht der Putzmann aus dem Osten da, bereit zum Schrubben. Hansruedi ist ganz der strenge Patron, die beiden Frauen verfallen dem eigenwilligen Charme des Fremden und leiten sofort Integrationsmassnahmen ein. Die Mutter serviert mitten in der Nacht Raclette mit Knoblauch, die Tochter bettet sich schnell mit einer Schweizer Fahne wedelnd in Dracuslavs Schlaflager. Doch Kreuz und Knolle sind dem Mann ein Graus, denn er ist ganz Vampir und mag vor allem roten Lebenssaft. Aber die integrationswütigen Frauen lassen nicht so schnell locker, spritzig ist ihre Verfolgungsjagd quer über die Schlachthaus-Bühne. Während die Tochter schliesslich interkulturelle Probleme als Grund für den Misserfolg ausmacht, glaubt die Mutter an eine Käseallergie - «Das isch de niente guet per l`integrazione!»

Herrlich, wie Kämpf und seine Crew mit Klischees jeglicher Couleur jonglieren. Die mitunter dick aufgetragene Tonspur und die minimalistischen Tanzeinlagen verwandeln die Szenerie mal in eine opulente Musicalbühne, mal in ein zweideutiges Tanzlokal (Bühne: Franziska Rast, Musik: Patrik Zeller). Nicht zuletzt tragen die Protagonisten zum Erfolg des Abends bei. Mathis Künzler als Vater und Diar Xani als Vampir spielen von der ersten bis zur letzten Szene mit Präzision, Humor und Tempo, und auch Grazia Pergoletti und Anja Tobler laufen nach und nach zur Hochform auf. Und man fragt sich, was denn eigentlich die Unterschiede sind zwischen denen, die uns mit Pizza und Co. beglücken, und denen, die östlich von Wien beheimatet sind.

Bund / Pia Strickler, 30.05.11 PDF | 71 KBytes

«Vampir kam, sah und saugte»
von Helen Lagger
Berner Zeitung, 31.05.2011

Der Vampirschwank «Bluetsuuger» im Schlachthaus-Theater begeistert mit überdrehtem Witz und politischer Brisanz. Am Ende ist nicht mehr ganz klar, wer der wahre Blutsauger ist: der Gastarbeiter aus Transsilvanien oder doch der Bünzli aus Allschwil.

Die Toilette des Füdlibürgers Hansruedi (Mathis Künzler) ist gleichzeitig sein Thron. Von hier aus regiert er über sein kleines Reich, zu dem seine Frau Primadonna (Grazia Pergoletti) und seine Tochter Erika (Anja Tobler) gehören. «Sein» Italiener Giovanni, der ihm jahrelang die Toilette putzte, ist verreist. Und das ist ein schöner «Schissdräck», wie er das Publikum in seinem prägnanten Basler Dialekt wissen lässt. Kurz entschlossen bestellt er eine Arbeitskraft aus dem Osten. Es kommt der Vampir Drakuslav (Diar Xani) aus Transsilvanien angereist und stellt das Leben der Familie gehörig auf den Kopf. Die Zürcher Regisseurin Christina Rast und der Berner Autor Matto Kämpf haben die Idee des Stückes, bei dem es um das Verhältnis zwischen Schweizern und Ausländern geht, gemeinsam entwickelt. Der Vampir dient als perfekte Angstfantasie des Schweizers vor dem Fremden. Er ist sexy, er bringt seine eigene Erde mit, und er hat ungewöhnliche Ernährungsgewohnheiten. Das aktuelle und brisante Thema wird politisch unkorrekt und mit dem für den Schwank – mittelhochdeutsch für «lustiger Einfall» – typischen volksnahen Humor garniert. So sagt Hansruedi etwa: «Mir sind Arschlöcher, ihr sind Arschlöcher, mir sind zersch da gsi.» Musikalisch untermalte Szenen, in denen die Protagonisten aus ihrem Holzhäuschen schiessen und einen Tanz ums Klo aufführen, erinnern an Filme von Benny Hill.

Der Charme des Vampirs

Tochter Erika verkörpert die bornierte Akademikerin, die postmoderne Hygienik an der Universität Darmstadt studiert, und Primadonna ist eine Italienerin, die – potz Pizza – einen «Passaporta svizzera» hat. Beide erliegen dem Charme des Vampirs – doch seine ersten Attacken schlagen fehl. Die überintegrierte Italienerin verjagt ihn mit ihrem nach Knoblauch stinkenden Raclette, das sie mitten in der Nacht kocht, Erika zückt die Fahne des Roten Kreuzes, um ihm die Schweiz zu erklären, worauf der dieses Symbol Fürchtende die Flucht ergreift. Das sind witzige und gleichzeitig intelligente Einfälle, die Fragen zur Integrationsdebatte aufnehmen. Wie viel müssen Ausländer von der neuen Heimat übernehmen, und wann wird es absurd?

Am Ende haben alle mutiert

Die Angst der Schweizer wird am Ende bestätigt. Der Vampir hat alle gebissen und sitzt nun selbst auf dem Thron und erteilt die Befehle. Alle haben letztlich mutiert: die soziale Erika zum grünliberalen Zombie, Hansruedi zum chauvinistischen Transsilvanier und der Vampir selbst zum klassischen Schweizer Bünzli. «Nur bei uns ist das Klowasser so sauber, dass man es trinken kann», übernimmt Drakuslav die Worte Hansruedis.

Berner Zeitung, Helen Lagger, 31.05.11 PDF | 3 MBytes

«Auch Vampire jassen gern und träumen von einer Gelateria»
von Simone Meier
Tagesanzeiger, 28.10.2011


Zürich, Theater Winkelwiese – Es geht hier, ganz krud und kurz gesagt, um die Balkanisierung der Schweiz. Füdlibürger Hansruedi (TV-Beau Mathis Künzler, einst ein Fernsehstar mit «Verliebt in Berlin») hat nämlich eine Allergie gegen körperliche Arbeit, weshalb er lange einen Giovanni aus der «Tschinggei» beschäftigte, aber der ist jetzt zu alt. Und weil heutzutage nur noch Leute aus dem Osten Lust haben, die Drecksarbeit zu machen, ruft Hansruedi eben in Transsilvanien an, und schon kommt Drakuslav (Diar Xani) geflogen. Der ist allerdings auch arbeitsscheu und zudem lichtscheu, hasst das Schweizer Kreuz, das Rote Kreuz und «Chnobli-Raclette», dafür bringt er einen eigenen Schlafsarg mit und viel erotisches Potenzial.
Zuerst macht er den Bünzlityrannen Hansruedi zu seinem willenlosen Beissgenossen, dann geht es Hansruedis Frauen an den Hals. Bei Tochter Erika (Anja Tobler) – «Ich studiere postmoderne Hygienik an der Universität Darmstadt bei Professor Schissek» – wirkt das so gründlich, dass sie zu einem «grünliberalen Zombie» mutiert; Gattin Primadonna (Grazia Pergoletti) darf dagegen endlich ihren gut versteckt gehaltenen Restvampirismus ausleben.
Am Ende sind zwar alle verwandelt und im Sinne von Drakuslav balkanisiert; aber jassen und von einer kleinen Gelateria am Paradeplatz träumen können sie trotzdem noch. Heimatliebe und Fremdenfeindlichkeit, das zeigt der deftige Vampirschwank «Bluetsuuger» von Regisseurin Christina Rast und Autor Matto Kämpf, sind Wesenszüge, die sich einfach nicht abschleifen lassen, da kann man noch so viel integrieren und assimilieren und sein eigenes mit fremdem Blut mischen. Die Böseste von allen ist jedoch Helvetia (Catriona Guggenbühl), die auf die sadistische Idee kommt, der multikulturellen Vampirfamilie «Let the Sunshine in» als Motto zu verordnen.
Das ist auf eine lustvoll politisch unkorrekte Art alles sehr gut gemeint und glänzend gespielt, aber irgendwo knorzt es grässlich im blutverspritzten Gebälk dieser Produktion. Ist es die anal-dentale Fixierung des Textes? Die grundlegende Albernheit des ganzen Unternehmens? Die Natur des Schwankes an sich? Sind es die oft plumpen Witze, die dem Stammtisch, den sie kritisieren, viel zu nah sind? Gerne möchte man den Abend dieses sympathischen Teams loben, aber ein paar sehr störende Zähne, die müsste man ihm dafür noch ziehen.

Tagesanzeiger/ Simone Meier, 28.10.2011 10.2011.PDF | 25 KBytes

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