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DER VULKAN. STÜCKE VON SCHLAFLOSIGKEIT

NZZ - VULKAN

KÖNIGINNEN DER NACHT - EIN KANON
«DER VULKAN - STÜCKE VIN SCHLAFLOSIGKEIT» - JENS NIELSENS NEUES STÜCK AM THEATER WINKELWIESE

Auch wer nicht schläft, ist in der Nacht selten einfach wach. Gedanken regen sich unkontrollierter, wenn die Zeit in der Dunkelheit verschwimmt. Wünsche locken, Ängste drohen, Erinnerungen verselbständigen sich Gespenster tauchen aus dem Halbbewussten auf und beleben die Einsamkeit des Schlaflosen wie Schauspieler eine Bühne.

Kühlschrank und Heizkörper
Jens Nielsen ein Autor, der dem Normalbetrieb immer das Absurde ablauscht, führt in «Der Vulkan Stücke von Schlaflosigkeit» drei Frauen zusammen – oder besser ihre Stimmen. Denn stockdunkles Schwarz füllt zunächst das Gewölbe des Winkelwiese-Theaterraums; eine der Stimmen imitiert Vögel, die zweite betet Rituale des autogenen Trainings, die dritte leistet menschlichen Nachtvögeln Gesellschaft. Als Sylvie Duvanel del Greco stellt sich die Moderatorin von Radio de
la nuit vor, «je vous écoute...» Meint sie uns oder ihre beiden schlaflosen Genossinnen? «Ihr Mondsüchtigen / Kobolde der Stadt / ruft mich / ruft ...»

Während die Radiomoderatorin, gespielt von Malika Khatir, hörbar und – sobald ein Lichtschimmer aus dem geöffneten Kühlschrank die Szene schummrig erhellt – sichtlich in ihrem Element ist, gibt sich Vivianne Moeslis Chantal mit furchtsamer Neugier Phantasien hin, indem sie von ihrem Mann redet und einem trauten Familienkreis mit Kindern, die sie möglicherweise bloss erfindet. Priska Praxmarers Brit hingegen hockt auf einem Heizkörper und tippt Wörter in die Schreibmaschine.
Beschwört sie vielleicht schreibend das ganzen Szenario herauf – um am Schluss reglos am Boden zu liegen in der Wasserlache zwischen Heizkörpern und Kühlschrank (Bühne: Beni Küng). Das Rendez-vous
dieser drei Königinnen der Nacht lässt manche Spekulation zu und keine eindeutigen Erklärungen.

Priska Praxmarer jedenfalls lässt ihre Figur, die sich ständig in Frage stellt, ringen um die Selbstverständlichkeit des Daseins ihrer sorgenvollen Angespanntheit mangelt es – trotz rollenbedingten Atmungsübungen – an jener schauspielerischen Souplesse, die der Text brauchte, um zu schwingen. Vivianne Moesli watet in Gummistiefeln (Kostüme: Lena Steinemann) durch Träume und Albträume; auch sie trägt ihre Rolle reichlich angestrengt durch den Abend. Und Malika Khatir kämpft mit der ihren energisch gegen jene Monster an, die der Schlaf der Vernunft produziert.

Szenisches Hörspiel
Jens Nielsens Text entwickelt sich assoziativen Wortketten entlang wie ein Hörspiel. Die Regie von Katharina Gaub macht daraus ein szenisches Kanon-Arrangement, das die drei einsamen Frauen in produktiven Missverständnissen aufeinandertreffen lässt. Plötzlich befürchten alle wortreich einen Vulkanausbruch, dann wieder schweigen sie obstinat in den Telefonhörer. Vieles ob verspielt oder verhuscht, wirkt etwas gar zufällig. Obwohl das am Thema liegen mag genügt es nicht ganz fürs Theater.

Barbara Villiger-Heilig, NZZ, 23. November 2010

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TAGES-ANZEIGER - VULKAN

DIE NACHT GEBIERT MONSTER UND SCHNUFFELHASEN

Zürich, Theater Winkerwiese. -
Wer kennt sie nicht, die schlaflosen Nächte, in denen die Gedanken unaufhörlich um das mit Sorgen behaftete Dasein kreisen. Bei dieser Erfahrung setzt der Hörspiel und Theaterautor Jens Nielsen mit einem Text für drei Schauspielerinnen an, den er «Der Vulkan. Stücke von Schlaflosigkeit» nennt und der nun in der Regie von Katarina Gaub in der Winkelwiese zu sehen ist.

Poetisch sind die Bilder die Beni Küng mit seiner Ausstattung für Nielsens Nachtstück gefunden hat. Frei schwebende Radiatoren sind im Raum verteilt, unermüdlich kreist ein motorbetriebenes Insekt um eine Lampe, von der Decke tropft es auf eine Blechschüssel, eine grosse Pfütze auf dem Bühnenboden wartet darauf, dass die Schauspielerin Vivianne Moesll in Gummistiefeln und Sommerkleidchen durch sie
hindurchstapft und im offenen Kühlschrank singt Yves Montand.

In der von spärlichem Licht beleuchteten Szenerie klagt Vivianne Moesli als schlaflose Chantal über ihren fremdgehenden Mann, an dessen Seite sie sich wie ein «fleischgewordenes Versäumnis» vorkommt. Malika Khatir als Sylvie vertreibt sich die Nacht in der von ihr erträumten Rolle einer Nighttalkerin, die Anrufe der Radiohörer entgegennimmt. Derweil arbeitet Priska Praxmarer als Brit an einer Schreibmaschine an ihrem Verschwinden und endet als Wasserleiche in der Bühnenpfütze. Bei derart schönen Bildern wirkt Regisseurin Katarina Gaub wie ein Elefant im eigenen Porzellanladen, wenn sie
ihre drei Schauspielerinnen in einer Polonaise hinter einem dem Kühlschrank entstiegenen Schnuffelhasen hertraben lässt. Und dass Jens Nielsen sein Nachtstück nicht nur mit albtraumüblichen Monstern und allerlei Unergründlichem ausstattet, sondern auch noch einen
Vulkan brodeln lässt, ist mit Sicherheit zu viel für den einstündigen Abend.

Andreas Tobler, Tages-Anzeiger, 23. November 2010

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P.S. - Vulkan

HÖRSPIEL

Jens Nielsens Text «Der Vulkan - Stücke von Schlaflosigkeit», in dem sich drei Frauen die Nacht um die Ohren schlagen, wird von Katarina Gaub mehrheitlich gleich ganz im Dunkeln inszeniert, was dem Eindruck eines Live-Hörspiels noch unterstützt.

Das einzige Problem von Sylvie (Malika Khatir), die von Berufes wegen nachtaktiv ist, sind die ausbleibenden Anruferlnnen, die ihr in der Radiosendung ihre Geschichten, Ängste und Sorgen erzählen sollen, also erfindet sie um die Sendezeit zu füllen immer sonderbarere Aufrufe, die ihre undefinierbare Klientel zum Anrufen animieren soll. Die Familienfrau
Chantal (Viviane Mosli) ist es sich schon fast gewohnt neben ihrem selig schlafenden Gatten wach zu liegen - als Eigenunterhaltung hat sie sich eine Kassette mit Vogelstimmen in den Walkman geschoben und ahmt sie nach. Doch trotz dieser Ablenkung hat sie noch genügend Musse sich über ihren nicht restlos zufriedenstellenden Stand innerhalb der Familie Gedanken zu machen und über eine Trennung nachzudenken. Die dritte auf der Bühne Britt (Priska Praxmahrer) stielt sich schreibend aus der Einsamkeit und Stille, die diese Dunkelheit
über ihr ausbreitet. Sprache als Rettung in ein sinnstiftendes Dasein selbst, wenn ihre Buchstaben kurvenreiche Irrwege beschreiten und
Wahn von Wirklichkeit nicht unterscheidbar ist. "Der Vulkan» ist im Vergleich zu seinen Solo-Performances und der von Antje Thoms
inszenierten Trilogie nicht Jens Nielsens stärkstes Stück. Die jeweiligen Einzeluniversen der drei Frauen sind schön ausgemalt, finden jedoch nur durch den Kunstgriff kleinerer Gruppeneinlagen etwa eines Chörlis oder gemeinsam Schlafwandelnden zueinander, was sich eigentlich aus der Anlage nicht aufdrängen würde. «Der Vulkan» wirkt ansatzweise absurd, entfaltet jedoch nicht den gleichen Elan, sich komplett von einem Zusammenhang zu distanzieren wie seine bisherigen Arbeiten, die in der Winkelwiese gezeigt wurden.

Thierry Frochaux, P.S., 26. November 2009

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