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DIE LETZTE BOTSCHAFT DES KOSMONAUTEN AN DIE FRAU, DIE ER EINST IN DER EHEMALIGEN SOWJETUNION LIEBTE

NZZ

Von Anne Suter

Ein grotesker Tango im All

«Die letzte Botschaft des Kosmonauten» im Theater Winkelwiese

Mit «Die letzte Botschaft des Kosmonauten» bringt die «Winkelwiese» ein zweites Stück des Schotten David Greig zur Schweizer Erstaufführung. Eine komplexe Produktion die das aller Publikum frösteln lässt — allerdings bloss im wörtlichen Sinne.

«Bitte bleiben Sie links von den Lichtlein am Boden »Was wäre schon
dabei, wenn man aus Versehen die auf Zuschauerniveau liegende Bühne beträte? Die zunächst etwas pingelig wirkende Aufforderung des Billettkontrolleurs am Saaleingang ergibt bereits in der ersten Szene Sinn.
Da sitzen ein Mann und eine Frau auf zwei roten Gartenstühlen, dem Publikum frontal zugewandt, auf einen imaginären Fernseher starrend. Bei genauerem Hinsehen sind es vier Personen, befinden sich die beiden doch auf einem spiegelnden Grund. Wenn der Mann, verärgert über den nicht funktionierenden Fernseher, hastig von seinem Sitz
aufsteht beginnt dieser Spiegelboden sich plötzlich zu kräuseln. Und nun fällt der Groschen: Die ganze Bühne steht rund einen Zentimeter tief unter Wasser - danke, Herr Billettkontrolleur!
«Die letzte Botschaft des Kosmonauten an die Frau, die er einst in der ehemaligen Sowjetunion liebte», so heisst der vollständige Titel von David Greigs 1999 uraufgeführtem preisgekröntem Theaterstück. Es ist inhaltlich eng verknüpft mit dem Stück «Pyrenäen», das 2008 im Theater Winkelwiese gezeigt wurde und quasi die Fortsetzung bildet:
Ein Mann, bewusstlos am Pilgerweg nach Santiago di Compostela gefunden, kann sich nicht mehr an seine Vergangenheit erinnern.
Genau dieser Mann, Keith, spielt auch in der jetzigen Produktion eine
wichtige Rolle und er wird wiederum von Ingo Ospelt gespielt. Durch seine unglückliche Liebe zur Erotiktänzerin Nastassja ist Keith sich der Ausweglosigkeit seiner bisherigen Existenz bewusst geworden, und er geht, die Atemgeräusche der schönen Russin im Ohr, ins Meer. Allerdings sucht er dabei nicht den Tod, wie sich am Schluss des Stücks zeigt, sondern einen radikalen Neuanfang.
Keith ist nicht der einzige Suchende in dieser von Stephan Roppel inszenierten Produktion. Sämtliche neun Figuren sind unterwegs, getrieben von ihren Sehnsüchten, auf der Suche nach wenigstens ein bisschen Glück: Nastassja (Andrea Haller) genauso wie Keiths Ehefrau Vivienne (Silke Geertz) oder der Weltbank-Beauftragte Erik (Samuel Streiff).
Die neun Figuren, die von vier Schauspielern souverän verkörpert
werden, treffen in 42 kurzen, prägnanten Szenen in immer wieder neuen Konstellationen aufeinander. Die Übergänge sind dabei fliessend: Schnell ein Kleidungsstück an oder ausgezogen (Ausstattung: Marcella Incardona), und schon ist die Rolle gewechselt; jene Darsteller, die gerade nicht gebraucht werden, bleiben jeweils auf der (bis auf die zwei Stühle) leeren Bühne und verharren unbeweglich in einer Position. Eindrücklich, wie hier mit einfachsten Mitteln intensive Begegnungen erlebbar gemacht werden!
Dass sich alles im Wasser abspielt - die Schauspieler zeigen im Verlauf der Aufführung immer weniger Scheu vor dem kühlen Nass, bis sie am Schluss sogar darin liegen -, hat einen extremen Effekt: Als Zuschauerin fröstelt man ungewollt und ist so fast physisch mit eingebunden ins Geschehen.
Und dann sind da noch, quasi als Kontrapunkt zu den neun Figuren auf
der Erde, die für den Stücktitel verantwortlichen Kosmonauten Oleg (Christoph Rath) und Kasimir (Sebastian Krähenbühl). Noch zu Sowjet-zeiten ins All spediert und seither vergessen, drehen sie seit Jahrzehnten einsam ihre Runden. Die beiden tragen türkisblaue Trai-
ningsanzüge und bewegen sich auf an den Beinen festgemachten Stelzen fort. Das allein bietet einen mehr als grotesken Anblick - ganz zu schweigen von der Szene, in der die zwei psychisch stark angeschlagenen Kosmonauten zu sowjetisch-martialischen Chorklängen
einen robotermässigen Tango tanzen.

NZZ, Anne Suter 24.1.2011 1.11.PDF | 420 KBytes

KULTURTIPP

©www.kultur-tipp.ch, 02/11

Verloren im All

von Babina Cathomen

Regisseur Stephan Roppel inszeniert im Theater Winkelwiese ein melancholisches Stück des schottischen Autors David Greig.

Die Kosmonauten Oleg und Kasimir driften seit Jahren im All, vergessen von der Welt. Die beiden stehen sinnbildlich für die anderen Figuren im Stück mit dem unförmigen Titel «Die letzte Botschaft des Kosmonauten an die Frau, die er einst in der ehemaligen Sowjetunion liebte». Auch sie sind verlorene, einsame Seelen: Zum Beispiel Nastassja, Kasimirs Tochter, die als Tänzerin in einem Londoner Nachtclub arbeitet. Ab und zu schaut sie noch in den Himmel, um ein
Zeichen ihres Vaters zu entdecken. Oder Keith, der mit Vivienne in einer erstarrten Beziehung lebt, sich in Nastassja verliebt und plötzlich verschwindet. Vivienne macht sich auf die Suche nach ihm und trifft auf den Ufo-Forscher Bernard, der Kontakt zu Ausserirdischen sucht.

Identitätssuche

Acht Menschen begegnen sich in den 42 Szenen immer wieder neu. «Der Autor David Greig spielt mit den Ähnlichkeiten der Figuren», erklärt Regisseur und Winkelwiese-Leiter Stephan Roppel. «Auf die Frage, wie wir glücklich werden, versuchen sie, Antworten zu finden, aber geraten dabei ins Stocken – und scheitern beim Versuch, ihre Gefühle in Worte zu fassen.» 2008 hat Roppel bereits Greigs Stück «Pyrenäen» im Theater Winkelwiese inszeniert, das inhaltlich eng mit der aktuellen Produktion verbunden ist. «In beiden Stücken geht es um das Motiv der Identität, um Menschen, die sich mit ihren Wünschen nach einem anderen Leben konfrontieren», sagt er. Der Regisseur erkennt in Greigs melancholischem Stück auch Hoffnungsschimmer und
gar eine Ermutigung an die Menschen zum Aufbruch: «Die Figuren werden von der Auflehnung gegen die Einsamkeit vorangetrieben, dennoch kommt es immer wieder zu Glücksmomenten.»

Kulturtipp, Babina Cathomen 02/11 PDF | 2 MBytes

ART.TV

Link zum Trailer auf art-tv.ch

«Die letzte Botschaft des Kosmonauten an die Frau die er einst in der ehemaligen Sowjetunion liebte». Ein abwechslungsreicher, pointierter
Theaterabend. Das Ensemble agiert mit grosser Leichtigkeit trotz der komplizierten Verwicklungen fehlt jegliche Erdenschwere.
Sehenswert!

«Die letzte Botschaft des Kosmonauten…», ein preisgekröntes Stück des schottischen Autors David Greig steht inhaltlich in einem engen Zusammenhang mit dem Stück Pyrenäen mit dessen Schweizer Erstaufführung das Theater Winkelwiese die Spielzeit 2008 eröffnete. In Pyrenäen schrieb Greig die Geschichte fort, die er im Kosmonauten Stück etabliert hatte.

Die Kosmonauten Oleg und Kasimir driften seit Jahren im All, vergessen von der Welt. Die beiden stehen sinnbildlich für die anderen Figuren im Stück mit dem unförmigen Titel «Die letzte Botschaft des Kosmonauten an die Frau die er einst in der ehemaligen Sowjetunion liebte».

Auch sie sind verlorene einsame Seelen: Zum Beispiel Nastassja, Kasimirs Tochter, die als Tänzerin in einem Londoner Nachtclub arbeitet. Ab und zu schaut sie noch in den Himmel, um ein Zeichen ihres Vaters zu entdecken. Oder Keith, der mit Vivienne in einer erstarrten Beziehung lebt, sich in Nastassja verliebt und plötzlich verschwindet. Vivienne macht sich auf die Suche nach ihm und trifft auf den Ufo Forscher Bernard, der Kontakt zu Ausserirdischen sucht.

P.S. 27.1.2011

Von Thierry Frochaux

Universell

Stephan Roppel inszeniert nach «Pyrenäen» David Greigs früheres Stück «Die letzte Botschaft des Kosmonauten an die Frau, die er einst in der ehemaligen Sowjetunion liebte» in der Winkelwiese und schafft es erneut, das beabsichtigte Verwirrspiel auf den drei Ebenen Sprache, Zeit und Figuren als Genuss zu erleben.

Ausser den beiden längst vergessenen Astronauten auf Stelzen (Sebastian Krähenbühl und Christoph Rath) haben sämtliche anderen
Schauspielerinnen bereits in David Greigs Vorlage mehrere Rollen, die hier nur durch kleine Veränderungen am Kleid voneinander zu unterscheiden sind (Bühne/Kostüme: Marcella Incardona). Weil sie als verschiedene Figuren zudem reihenweise dieselben Sätze sprechen,
zeitlich und örtlich jedoch komplett woanders sind, entsteht keine narrative Handlung im engeren Sinne und hinterlässt einen in einer
gewissen Unsicherheit, die Raum für Interpretationen Ahnungen und Fragen lässt. Ist beispielsweise Silke Geertz als Gattin von Ingo Ospelt, der offensichtlich aus Liebeskummer ins Wasser ging, als Puffmutter von Andrea Haller, die wenig begeistert mit Samuel Streiff mitgeht,
dieselbe Frau in einer Neuorientierung an einem anderen Ort, und im dritten Teil in einem fremden Land auf der Suche nach dem echten
Ort des Krawattensujets ihres Geliebten, nun wieder die erste Figur, insgesamt drei oder doch immer dieselbe? Diese immer feiner verästelte Vermengung sämtlicher Ebenen verwischt zwar die narrative Ordnung einer eindeutigen Handlung, führt hingegen letztlich zu einer geballten Ladung an Universalität, in der die Einzelfiguren in den Hintergrund rücken, weil sie alle unerfüllten Sehnsüchten nachleben - sei dies Liebe, Sinn oder Tod. Als Gesamtkunstwerk ist dieser Theaterabend eine kompakte Verlockung, sich ihm einfach hinzugeben und den Blick vom Kleinen hin zum Ganzen umzulenken, selbst wenn die Party unter Wasser steht.

P.S. Thierry Frochaux, 27.1.2011 S. KOSMONAUT27.1.11.PDF | 242 KBytes

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