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GELBE TAGE

NZZ

BEZIEHUNGSKRIEG IM NIEMANDSLAND
Uraufführung des Theaterstücks «Gelbe Tage» in der «Winkelwiese».
Die Inszenierung des Stücks «Gelbe Tage» zeigt eindrücklich, wie sich die Grausamkeit des Krieges auf das Private überträgt. Der Zuschauer wird aber etwas orientierungslos zurückgelassen in diesem Niemandsland.

«Wir waren einkaufen. Es war so ein gelber Tag. Die Sonne ging langsam unter. Aber es war kein schöner Sonnenuntergang. Es war irgendwie staubig. Irgendwas lag in der Luft», sagt die junge Frau in einer Szene des Stücks «Gelbe Tage», das am Samstag im Theater an der Winkelwiese uraufgeführt wurde. Mir «Gelben Tagen» meint sie keine schönen Tage, sondern «das Gefühl einer Traurigkeit nach dem Glück», wie sie es ihrem Mann erklärt. Sie ahnt, wie sehr ihre Beziehung zu ihrem Partner, der einer anderen Ethnie angehört, durch den Jugoslawienkrieg gefährdet ist. Das 2005 im Rahmen der Dramenprozessor-Werkstatt entstandene Stück der 24-jährigen Nachwuchsautorin Daniela Janjic, die in Bosnien-Herzegowina aufgewachsen ist und seit 1993 in Winterthur lebt, kreist um die Wirren einer Dreiecksbeziehung nicht näher bekannten Figuren im Jugoslawienkrieg; um eine Frau, ihren Bruder und ihren Mann. Der Krieg spielt sich draussen ab, seine Grausamkeit dringt jedoch ins Private ein und überträgt sich auf die Sprache der Figuren. Zunächst Kämpfen die Schwäger Seite an Seite gegen die «Roten», dann werden die beiden zu Gegnern, das sie unterschiedlichen Ethnien angehören. Die Liebe des Ehepaars ist jedoch bedroht durch diesen Krieg, in dem jeder jedes Feind werden kann.

Gefangen im emotionalen Kerker
Regisseur Stephan Roppel, Leiter des Theaters an der Winkelwiese, verlegt das Stück in ein karges Niemandsland, fast ohne Requisiten. Ein weisses Tuch liegt ausgebreitet auf dem Boden, und ein Paar Militärstiefel stehen da. Vor dem Hintergrund dieses schlichten Bühnenbilds erzählt in der ersten Szene die junge Frau (Anna-Katharina Müller), an ihren Geliebten gelehnt, dem skeptischen Bruder (Manuel Bürgin) von ihrem Liebesglück. Doch dieses wird nicht von Dauer sein. Der Bruder und der Mann (Sebastian Krähenbühl) sind wehrhaft gekleidet, sie tragen Militärhosen, als ob sie sich ständig verteidigen müssten. Die Zigaretten sind das Einzige, was die Kriegs-Feinde untereinander austauschen. Die Glimmstengel werden zum Leitmotiv im Stück. Immer wieder wird geraucht. Es scheint, als hielten sich die Protagonisten daran fest wie an einem letzten Funken Leben in diesem Krieg, der ihre Herzen zu gefühllosen Wüsten hat werden lassen.
Roppel gelingt es, die ausweglose Situation der drei Figuren darzustellen. die schlichte Inszenierung lebt auch von der beeindruckenden Leistung der Schauspieler. Sie treten nie von der Bühne ab, sondern blicken starr gegen die Wände, wenn sie nicht sprechen. Den Eindruck der Unausweichlichkeit verstärkt der kleine Gewölbekeller der Villa Tobler. Bald erinnern die Felsen an kalte Trümmerlandschaften, bald an ein Zimmer in einem zerstörten Haus. Als der Mann von den Kämpfen zurückkehrt, redet er in zusammenhangslosen, schroffen Sätzen vom grausamen Elend, das er gesehen hat - seine Frau versteht ihn nicht mehr. Schliesslich schwindet das Vertrauen, die beiden können nicht mehr nebeneinander einschlafen und werden gewalttätig. Damit ist dei Enge des Raumes zum bedrohlichen Symbol einen emotionalen Kerkers geworden, in dem die Protagonisten gefangen scheinen.
Bisweilen fühlt sich der Zuschauer während der Inszenierung etwas orientierungslos. Die unterschiedliche Arten der Beleuchtung weisen zu wenig deutlich darauf hin, dass eine neue Szene beginnt; denn der Text ist in drei Akte mit insgesamt 17 Szenen eingeteilt. Auch wird kaum klar, in welchem Zeitraum sich das Stück abspielt; nur wenn über das inzwischen geborene Kind des Ehepaars gesprochen wird, erhält man eine Ahnung davon. Einzig das Begleitheft informiert, wo das Stück angesiedelt ist: im Bosnien-Herzegowina der 1990-er Jahre. Dort kämpften im Juni 1992 die Serben gegen die Allianz von Kroaten und Muslimen. Ab Oktober 1992 fanden Kämpfe der formal Verbündeten statt. Das Stück stellt einen mikroskopischen Ausschnitt dieser Auseinandersetzungen dar, es wird aber bis am Schluss nicht deutlich, welche Ethnien die Figuren angehören. Doch vielleicht ist dies wichtig. Gerade die Namens- und Orientierungslosigkeit zeigt die Absurdität des Krieges.

Vorahnung der Realität
In der letzten Szene ist der Raum gelb ausgeleuchtet, die böse Vorahnung «gelber Tage» ist grausame Realität geworden. der Mann hat seine Frau getötet. «Wir können von vorne beginnen», sagt er, den der Krieg in den Wahnsinn getrieben hat, zum Bruder der Toten. Es wird dunkel, nur zwei Zigarren glimmen. Dies verleiht der sonst sehr eindrücklichen Inszenierung am Ende- vielleicht unabsichtlich- eine Ironie, die der Schwere des Themas nicht angemessen scheint.
NZZ, Katja Baigger, 28.01.2008

Tages-Anzeiger

Theater
GELBE TAGE
Zürich, Theater Winkelwiese. - Wie die Augen eines nachtaktiven Raubtiers glimmen die beiden Zigarettenstummel in der Dunkelheit. Sie glühen wechselweise auf. Lauernd, als wenn sie nach neuer Beute trachteten. Doch dann geht das Licht an, und kräftiger Applaus setzt ein. Nach neunzig Theaterminuten sind die «Gelben Tage» der Daniela Janjic ausgespielt. Der Krieg ist vorbei. Er hat jedoch vom Figurentrio in der Winkelwiese einen hohen Tribut gefordert: Die erstaunlich tiefe, beruhigende Stimme der schmalen Anna-Katharina Müller ist verstummt, ihre Frauenfigur liegt tot auf den raumgreifenden Militärplachen (Bühne: Marcella Maichle).
In der Rolle des Bruders muss sich Manuel Bürgin mit einem amputierten Bein Bein durch die Gegend schleppen. Und Sebastian Krähenbühl schliesslich leidet als heimkehrender Ehemann an einer gravierenden Paranoia. Seine Bewegungen sind unkontrolliert; er beisst sich in die Hand oder schlägt sich ins Gesicht, um kurz darauf regungslos einem Traumbild nachzuhängen.
Daniela Janjics Debutstück, eine Frucht der Theaterförderung «Dramenprozessor», spielt vor dem Hintergrund der ethnisch motivierten Konflikte in Bosnien-Herzegowina. Dort liegen die familiären Wurzeln der Autorin, die seit 1993 in Winterthur lebt. Doch ist dieser Schauplatz im Text nicht konkret fassbar. Die 23-jährige arbeitet mit Abstraktionen. So erinnern die Bezeichnungen der Kriegsparteien an ein überdrehtes Strategiespiel: Da verbünden sich die «hinterhältigen Kartoffeln» mit den gesellschaftlich besser etablierten und daher ungeliebten «verdorbenen Bauern» gegen die roten Aggros«. Als die »Roten" dann endlich weg sind, wechseln die Fronten. Aus Verbündeten werden Feinde.
Von seiner Anlage her hätte der Abend platt oder trivial enden können, doch ist diese Befürchtung hier unbegründet. Denn Janjic verlegt den Konflikt ins Private. Und schafft ein berührendes Familienporträt, das die Ohnmacht der Figuren zeigt und beim Team um Regisseur Stephan Roppel bestens aufgehoben ist. Roppel, bekannt durch einen behutsamen Umgang mit Textmaterial und einem Faible für strikte Reduktion, wird an dieser Uraufführung für seine Verhältnisse sehr deutlich. Und das muss er auch. Denn nur durch das konsequente Ausspielen der Emotionen können die Kriegshandlungen überzeugend motiviert werden.
Tages-Anzeiger 28.01.2008, Charlotte Staehelin

Theater der Zeit

Daniela Janjic setzt sparsam Zeichen. Unaufdringliche Wegmarken, die den Zuschauer nicht einengen, nicht auf einen historischen Ort festlegen. Das Publikum kann gerade in dem Mass an bekanntem Konfliktmaterial andocken, dass aktuelle Kriegsbeobachtungen untergründig mitschwingen. Aber der Text geht nicht so weit, dass er eindeutig würde – und damit eindimensional und platt. Das ist klug. Eine namenlose Aggression baut sich auf, ein unheimliches Spannungsfeld, in dem aus jedem Verbündeten über Nacht ein Feind werden kann. (...) Roppel gibt Daniela Janjics kurzen Szenen viel Raum. Mit behutsamen Licht- und Haltungswechseln folgt er den unscheinbaren Veränderungen, den schleichenden Verhärtungen, den sich einnistenden Traumata. Stephan Roppel ist ein nüchterner Regisseur: Er inszeniert nah am Text entlang – mehr noch tief in ihn hinein. Roppel horcht Janjics Kriegsmetamorphosen aufmerksam nach und gibt ihnen Körper im Spiel, im Leben von Theaterfiguren. (...) Ein Spiel, das gerade in seiner dezenten Präzision dem Text zu viel Eindringlichkeit verhilft.
Andreas Klaeui, Theater der Zeit, März 2008

Trailer:

Link zum Beitrag auf Art.tv:
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