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GENESIS NR.2

GENESIS NR. 2 - NZZ

IM ANFANG WAR DAS THEATER
«Genesis Nr. 2» von Iwan Wyrypajew im Theater an der Winkelwiese


Hat ein Gott einmal die Welt geschaffen? Was existiert wirklich in der Welt? Und was ist der Sinn des Lebens? Der junge russische Dramatiker Iwan Wyrypajew hat sich in «Genesis Nr. 2», das als deutschsprachige Erstaufführung zurzeit im Theater an der Winkelwiese in Zürich Station macht, grundlegendste Fragen vorgenommen. Angelegt ist diese Auseinandersetzung mit der Schöpfung als Briefwechsel und Dialog des Autors – beziehungsweise einer Figur des gleichen Namens – mit einer Patientin in einer psychiatrischen Klinik.

Dort lebt Antonina Welikanowa (Franziska Dick) mit dem Befund Schizophrenie, betreut vom Klinikarzt Arkadji Iljitsch (Wowo Habdank). Allerdings hält sie ihren Betreuer meistens nicht nur für einen «Gott in Weiss», sondern für Gott persönlich. Und für sich selbst hat sie in der Bibel eine andere Figur gefunden: Lots Frau. Allerdings ist sie alles andere als zur Salzsäule erstarrt, obwohl auch sie bisweilen gerne auf Sodom und Gomorrha zurückgeblickt hätte.

Wie am Anfang Iwan Wyrypajew (gespielt von Christian Kerepeszki) einleitend kommentiert, ist der Text die Hauptfigur. In «Genesis Nr. 2» geht es um Worte: um den Text der Bibel, um die Benennungsmacht der Sprache, um die Kreation der Welt durch einen Sprechakt. Entsprechend situiert Benni Küng das Ringen um Wörter in einem Raum voller Papierfetzen. «Geschrieben und verworfen» ist denn auch ein formales Grundprinzip des Stücks. Eine eigentliche Handlung entspinnt sich nicht, vielmehr werden einzelne Wörter und Sätze immer wieder aufs Neue überprüft, in neue Kontexte gestellt, hinterfragt oder gar ad absurdum geführt. Um das Salz in der Suppe wird ebenso diskutiert wie über den Glauben an Gott beziehungsweise den Glauben Gottes an die Menschen. Als eine «Genesis Nr. 2» präsentiert sich dieses Stück am Ende, insofern es mittels Textskizzen, Kommentaren, Zitaten und kurzen Dialogpartien der Schöpfung der Welt, wie in der Bibel beschrieben, einen anderen Entwurf entgegenstellt: einen voller Nonsense, der sich auch über sich selbst lustig macht. Insofern gilt hier: Im Anfang war das Theater.

Wyrypajew ist auch Prophet Johannes, und als dieser erlaubt er sich, die ernsten Überlegungen Antoninas über jegliche existenzielle Unsicherheit mit kurzen Einlagen aufzulockern, etwa indem er für sich selbst den roten Teppich ausrollt und Lieder über Sexualität und russische Männer oder über zwei radiohörende Tote zum Besten gibt. Die Berliner Regisseurin Katharina Gaub lässt die Figuren auch «wie Gott sie schuf» auf der Bühne herumturnen – Adam und Eva lassen grüssen –, später tritt Gott alias Arkadji Iljitsch auch einmal als «Dumpalum», eine Art Buddha mit blau beleuchteter Mitra (Kostüme: Karen Simon), auf. Damit setzt sie auf die selbstironische, eklektizistische Komponente des Stücks, verliert dabei aber den ernsten Kern aus den Augen. Da ist man dankbar, dass die Schauspieler ihre Figuren durch ihr intensives Spiel nie der Lächerlichkeit preisgeben.

Bettina Sporri, NZZ, 18. Mai 2009

PDF | 144 KBytes

GENESIS NR. 2 - P.S.

GOTTLOS

«Genesis Nr. 2» von Iwan Wyrypajew in der Winkelwiese ist eine an sich schöne Kombination von Gottlosigkeit gepaart mit Trash Glamour, Zwischenspielen und schriller Götzennachahmung. Nur war die deutschsprachige Erstaufführung von Katarina Gaubs Inszenierung in einem um vieles grösseren Raum und musste uminszeniert werden. Dabei gingen die krassen Gegensätze fast unter.

An sich ist es wirklich schade, dass die mutmasslich beabsichtigte Darstellung von absurden Gegensätzen zur gleichen Zeit in der Winkelwiese nicht mehr derart krass ist, dass sie ihre volle Wirkung entfalten können. An den Darstellerinnen liegt es nicht, selbst wenn Thom Lutz und Viviane Mösli fast nur Anwesenheitsrollen haben. Aber
Christian Kerpeszki der im dem Vernehmen nach viel grösseren Raum der Erstaufführung noch mit dem Auto auf die Bühne preschte, ist im kleinen Kellertheater der Winkelwiese doch sehr arg physisch eingeschränkt, einen derart effektvollen Auftritt hinzulegen. So besteht das Stück letztlich aus dem Dialog von Psychiatrieinsassin (Franziska Dick) und Arzt (Wowo Habdank), die sich über die (kreationistisch angehauchte) Schöpfungsgeschichte austauschen. Die Patientin hält den Arzt für diesen Gott und er hat schlicht keine Lust ihr Schnuckiputzi zu sein, ihr ihr Geschwätz zu verzeihn. Er stellt die Ohren auf Durchzug und macht auf coach potato der primitivsten Sorte. Dabei ist die dramaturgische Entwicklung der Erzählung in sich stimmig und die Umsetzung von «Adam und Eva» bis zu einem sehr schräg interpretierten «Hallo Mister Gott hier spricht Anna» mit stören
den Zwischenrufen des zwangsfröhlichen Unterhalters eine schöne Kombination. Nur sind in der Version für die Winkelwiese die
Gegensätze zu wenig effektvoll dargestellt und ohne diese mitspielende Diskrepanz geht dem Stück etwas mutmasslich Zentrales vom ganzen Elan ab.

Thierry Frochaux, P.S., 22. Mai 2009

S.PDF | 263 KBytes

GENESIS NR. 2 - ZUERITIPP

ERSCHAFFUNG DER WELT

Der russische Autor Iwan Wyrypajew hat die Schöpfungsgeschichte neu erdacht. Sein Gott ist ein Atheist und dessen Welt sinnfreies Stückwerk.

Nein, was dieser Gott behauptet, kann nicht stimmen. Dass er einen nassen Lappen genommen und alles «bis hin zu den Grundbegriffen bis zum letzten Gegenstand» weggewischt und ausgelöscht habe. «Bei mir im Inneren, im Inneren meines Kopfes ist so viel, so viele verschiedene Zahlen und Bilder und Lebertran und Gehirn und Musik, so viel, dass man das nicht einfach mit einem Mal weg wischen kann», begehrt die ehemalige Mathematiklehrerin Antonina Welikanowa (Franziska Dick)
auf: «Ich habe Beweise für viele mathematische Theoreme und die Ungleichheitstheorie.»

Doch ist beim Dramenautor Iwan Wyrypajew Widerstand zwecklos. Sein Gott, gespielt von Wowo Habdank, ist ein gnadenloser Atheist in orientalisch anmutenden Gewändern, der Sinnzusammenhänge verbal zersetzt oder brachial zerstört. Der 35 jährige sibirische Schauspieler, Regisseur und Autor, der mit seiner eigenen Truppe sehr erfolgreich in Moskau arbeitet, denkt mit «Genesis Nr. 2» die Schöpfung noch einmal neu. Die Welt, die er erschafft ist fragmentarisch, voll Widerspruch und Fragezeichen. Das beginnt bereits bei der abenteuerlichen Entstehung des Textes. Glaubt man dem Prolog des Autors stammen grosse Teile des Stückes, das in der Regie von Katarina Gaub an den Sophiensaelen Berlin uraufgeführt wurde und jetzt nach Zürich kommt, aus der Feder der schizophrenen Moskauer Psychiatriepatientin Antonina Welikanowa. Wyrypajew mixt Textkommentare, Briefe, Regieanweisungen und Liedpassagen unter das szenische Material der Welikanowa. Doch ist die
reale Existenz der Ko-Autorin umstritten. Unseren Informationen zufolge ist die Figur frei erfunden. Es gibt dazu jedoch unterschiedliche Meinungen. Und so geht Wyrypajews kluges Vexierspiel voll auf. Wie die Genese der Welt, so bleibt auch die Genese des Textes ein Geheimnis.

Charlotte Staehelin, Zueritipp, 14. Mai 2009

PDF | 252 KBytes

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