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HAUS DES FRIEDENS

HAUS DES FRIEDENS - NZZ

NZZ, 27.9.2010

Gefangen im gleissenden Nichts

«Haus des Friedens» im Theater Winkelwiese aks.

«Die Sterne sind zu nah. Hier oben. Die stechen mir in den Kopf wie tausend Nadeln. Als ob ich falle. Nach oben, von den Scheissbergen, mitten in die Sterne rein», sagt der junge deutsche Soldat Lorenz, der sich mit Jost, seinem Vorgesetzten, und Marie, die soeben neu zur Truppe gestossen ist, im Niemandsland, irgendwo im afghanischen Gebirge, befindet. Der Jeep der drei Bundeswehrsoldaten hat einen Motorenschaden erlitten; bis dieser behoben ist, hausen sie in einer ehemaligen Impfstation auf dreitausend Metern Höhe, umgeben von lauter Nichts.

In seinem im Februar in Bonn uraufgeführten Stück «Haus des Friedens» zeigt der deutsche Theaterautor Lothar Kittstein drei Menschen in einer Extremsituation. Die Soldaten reagieren ganz unterschiedlich auf die Umstände - wie sie sich auch aus ganz verschiedenen Gründen für den Bundeswehr-Einsatz entschieden haben «Ich hatte nichts Besseres vor. Bin nicht fürs Büro gemacht», meint Lorenz lakonisch. Dass er auch nicht für den Krieg gemacht ist, merkt er spätestens hier oben im Gebirge. Seiner riesigen Angst versucht er dadurch beizukommen, dass er pausenlos schwatzt. Marie hingegen kennt keine Furcht. Auf die Frage, wie das denn möglich sei, antwortet sie: «Ich glaube halt, dass wir das Richtige tun. Ich bin hier für mein Land, also... für was Grösseres». Diesem Standpunkt kann Jost überhaupt nichts abgewinnen. Nach Einsätzen in verschiedenen Kriegsgebieten ist er desillusioniert, und er kämpft gegen schreckliche Bilder, die sich nicht aus seinem Kopf vertreiben lassen.

Stephan Roppel, der künstlerische Leiter des Theaters Winkelwiese, hat «Haus des Friedens» mit grösstmöglicher Schlichtheit inszeniert. So gehen die Szenen, die zum Teil zeitlich auseinanderliegen, nahtlos eine in die andere über. Die Räumlichkeiten der Impfstation werden durch nichts als senkrecht von der Decke hängende weisse Stoffbahnen angedeutet; den Boden bedeckt ein beiger Lehmboden (Ausstattung: Marcella Incardona). In diesem gleissenden Bühnenraum, der die unerbittliche Helle einer steinigen Bergeinöde so treffend wiedergibt, bewegen sich die Soldaten in ihren ebenfalls sehr hellen Uniformen.

Wie die drei Schauspieler diesen unspektakulären Rahmen mit Leben füllen, ist bemerkenswert. Nicht so schnell wird man Marie (Sarah Hostettler) mit ihrer wunderbar aufrechten Körperhaltung und dem ruhig steten, nur ein einziges Mal fanatischen Blick vergessen, ebenso wenig den im Laufe der Aufführung immer sympathischer werdenden Lorenz (Gerrit Frers), der unablässig in Bewegung ist und dabei ins Schwitzen kommt - ganz zu schweigen von Jost (Michael Wolf), dessen extreme Anspannung sich in bewusst kontrollierten Bewegungen und immer wieder durch nichtige Anlässe ausgelösten Wutanfällen zeigt. Das Trio auf der Bühne bringt die beklemmende Atmosphäre in der einstigen Impfstation derart greifbar zum Ausdruck, dass man nach anderthalb Stunden irgendwie froh ist, den Theatersaal wieder verlassen zu können. Und irgendwie auch nicht.

NZZ, Anne Suter 27.9.2010 PDF | 143 KBytes

HAUS DES FRIEDENS - ZÜRCHER LANDZEITUNG

Zürcher Landzeitung, 27.9.2010

Karl Wüst

Psychokrieg an der Terrorfront

Im Stück «Haus des Friedens» von Lothar Kittstein stranden drei Angehörige der Bundeswehr in der Einöde Afghanistans. Die spannungsvolle psychologische Studie ist nun erstmals in der Schweiz am Theater an der Winkelwiese in Zürich zu sehen.

Mittlerweile befinden sich 5000 Bundeswehr-Soldaten als Teil der internationalen Schutztruppen in Afghanistan. Für den 40-jährigen deutschen Dramatiker Lothar Kittstein Grund genug, das Thema aufzugreifen und drei Angehörige der deutschen Truppen im Gebirge des umkämpften Landes stranden zu lassen. Eine Ausnahmesituation mit Sprengkraft, wie die Inszenierung von Stephan Roppel zeigt.

Grübeln statt gehorchen

Lorenz (Gerrit Frers), Marie (Sarah Hostettler) und ihr Chef Jost (Michael Wolf) sind im Jeep unterwegs. Ein Motorschaden zwingt sie, ihre Fahrt und damit den militärischen Alltag zu unterbrechen. Denken und grübeln statt befehlen und gehorchen: ein krisenträchtiger Wechsel.

Die von Marcella Incardona eingerichtete Bühne im Kellergeschoss des Theaters demonstriert die gefährliche Situation eindrücklich. Der Boden, worauf sich die zwei Soldaten und die Soldatin in ihren sandfarbenen Kampfanzügen bewegen, ist rissig. Unstabil sind auch die Wände: transparente Vorhänge, die keinerlei Halt bieten.

Schon beim ersten Auftritt lässt Lorenz seinem Frust freien Lauf: «Scheisse. Wir sind auf zweieinhalb-, dreitausend Meter. Am Arsch der Welt!» schreit er, während sich Marie souverän lächelnd, mit Gelassenheit der Situation stellt. Sie ist gläubige Christin, sie hat eine Mission, möchte das Gute, die westlichen Werte, ins Kriegsgebiet bringen und so zum Frieden beitragen.

Persönliche Erschütterungen

Der Glaube gibt Marie Kraft. Der fehlt Lorenz ebenso wie Jost. Die beiden Männer werden überwältigt von verdrängten Gefühlen. Sehnsüchte ersetzen die Pflichterfüllung.

Lorenz, quengelig wie ein kleiner Junge, trödelt beim Reparieren des Jeeps, um Zeit zu haben, mit Marie anzubändeln. Ein hoffnungsloses Unterfangen. Jost markiert noch zu Beginn mit stechendem Blick den harten Vorgesetzten. Dann aber wird auch er von Selbstzweifeln zerrissen, greift zum Alkohol.

Er fühlt sich schuldig am Tod eines Soldaten, der von einer Bombe zerfetzt wurde. Die Erschütterung seiner selbst bringt auch seine homoerotischen Neigungen an den Tag. In Maries Gesicht meint er die Züge des Toten zu erkennen. Er stürzt sich auf sie im wahnsinnigen Glauben, den Geliebten zu umarmen.

Stephan Roppel bringt das 90 Minuten dauernde wortreiche Stück, das dieses Jahr in Bonn uraufgeführt wurde, mit Tempo und ohne szenischen Schnickschnack auf die Bühne. Den Spielenden, welche die Textmasse souverän bewältigen, gelingt es, die Spannung bis zum Schluss aufrecht zu erhalten.

Zürcher Landzeitung, Karl Wüst, 27.9.2010 PDF | 196 KBytes

HAUS DES FRIEDENS - KULTURTIPP

Kulturtipp 09/10

Claudine Gaibrois

Quälende Sinnsuche

Zwei Soldaten und eine Soldatin der Bundeswehr im Auslandseinsatz: Wie eine Autopanne ihr Weltbild ins Wanken bringt, zeigt das Zürcher Theater Winkelwiese mit «Haus des Friedens».

«Es bringt nichts, sich darüber Gedanken zu machen. Passiert ist passiert.» Der junge Bundeswehrsoldat Lorenz versucht, seinen Chef Jost darüber hinwegzutrösten, dass einer seiner Untergebenen von einer Mine zerfetzt worden ist. Jost fühlt sich als Vorgesetzter schuldig an dessen Tod. Mit eingezogenen Schultern, gequälter Miene und einer Flasche Schnaps in der Hand sitzt er auf dem Boden und starrt ins Leere. Im Proberaum des Theaters Winkelwiese auf der Zürcher Werdinsel üben Gerrit Frers (Lorenz) und Michael Wolf (Jost) den Dialog zwischen den beiden Männern ein.

Zeit zur Reflektion

Die Szene spielt irgendwo in einem muslimischen Land. Lorenz, Jost und die junge Soldatin Marie sind im Niemandsland gestrandet, nachdem ihr Jeep den Geist aufgegeben hat. Sie sind dazu verdammt, in einer ehemaligen Impfstation auszuharren. Das tagelange Warten konfrontiert die drei Bundeswehr-Angehörigen mit sich selbst, bringt
verdrängte Gefühle und Gedanken an die Oberfläche. Eine wichtige Rolle spielt dabei die unerfahrene Soldatin Marie, die in der Aufführung von Sarah Hostettler verkörpert wird. «Wir verändern die Welt. Wir
befreien dieses Land», ist Marie überzeugt. «Wir sorgen dafür, dass man wählen gehen kann. Und ausgeht. Tanzt. Musik hört. Ins Kino geht. Und Händchen hält. Sich küssen darf.» Maries ungebrochener Optimismus fordert die beiden Männer heraus. Desillusioniert stellen Jost und Lorenz sich die Frage nach dem Sinn ihres Einsatzes und nach
möglichen Alternativen. Eine «gottverdammte Heilige» nennt Jost die junge Marie. «Die wollen uns hier nicht haben. Für diese Leute sind wir Dreck.» Lorenz wiederum sagt: «Vielleicht gehe ich zurück. Krieg Kinder. Ich meine, such mir ne Frau.» Mit dem Stück «Haus des Friedens» hat Autor Lothar Kittstein einen ganz anderen Zugang zum
Einsatz westlicher Truppen in Konfliktländern gewählt, als er aus den Medien vertraut ist. Er rückt das Innenleben der Soldaten ins Zentrum statt Kampfeinsätze und Selbstmordanschläge.

Konfliktpotenzial

Das Leben in der Fremde und der fehlende Halt löse bei den Figuren eine Reihe von Fragen aus, erzählt Kittstein – politische, aber auch existenzielle: «Kann man mit seinem Willen etwas ändern, in den Lauf der Dinge eingreifen? Gibt es etwas, wofür es sich zu kämpfen lohnt?» Die drei Figuren Lorenz, Jost und Marie würden unterschiedliche Standpunkte zum Thema vertreten, aber gleichzeitig zwischen verschiedenen Positionen hin und her schwanken. «Sie können nicht in sich ruhen», sagt der Autor. Diese Ambivalenz hat Regisseur Stephan
Roppel interessiert: «Die Figuren sind sehr differenziert gezeichnet, sie sind sehr widersprüchlich und vielschichtig.» «Haus des Friedens» wurde dieses Jahr am Theater in Bonn uraufgeführt. Stephan Roppel
bringt das Stück nun in Zürich zur Schweizer Erstaufführung.
In Roppels Augen ist es ein «gutes Stück, weil alle Beteiligten ein Stück weit recht haben». Bei der Inszenierung gehe es entsprechend
darum, «Konflikte zu zeigen und nicht Fragen zu beantworten».

Kulturtipp, Claudine Gaibrois 09/10 PDF | 72 KBytes

HAUS DES FRIEDENS - TAGES ANZEIGER

TAGES ANZEIGER 25.9.2010

Alexandra Kedves

Eine sandige Welt aus Braun und Beige. Selbst die Luft, von Bühnen-bildnerin Marcella Incardona aus feinen Vorhängen gewoben, ist erdfarben. Könnte Afghanistan sein - jedenfalls ein ausgetrockneter Elendswinkel wo bundesdeutsche Soldaten ihren Dienst tun und keiner weiss, warum. Ausser Marie: Sie will als glühende Christin dem islamischen Land westliche Werte beibringen. Marie ist eine der Figuren aus «Haus des Friedens», dem Stück des 40-jährigen Trierer Autors Lothar Kittstein, das im Februar in Bonn uraufgeführt wurde. Winkelwiese-Hausherr Stephan Roppel inszeniert das anderthalbstündige Kammerspiel buchstäblich mit Erdenschwere. Marie (Sarah Hostettler), Lorenz (Gerrit Frers) und ihr Vorgesetzter Jost (Michael Wolf) stranden mit dem Jeep mitten im Nirgendwo.Ungeschützt, über sich den kalten Sternenhimmel und in sich drin ein Haufen Welterklärungsversuche. So begegnen sie einander während der langen Stunden bis Lorenz den Wagen wieder flottgemacht hat. Frers trifft den Ton des heimweh- und nervenkranken Unterhunds genau; verzweifelt versucht er sein Selbstbewusstsein mit rassistischen Thesen aufzumotzen und Marie zu einem «Fick unter Weissen» zu überreden. Sie kennt ihre Mission und ist bereit dafür über Leichen zu gehen. Wolfs Jost wiederum hat sich längst in die islamische Kultur verliebt und zweifelt am Einsatz. Drei Stereo-typen, aber eine spannungsgeladene Konstellation und achtbare Mimen. Trotzdem kommt das Ganze arg statisch und matt daher: zu viel ungebändigter Text, zu wenig Theater. Zu viel Theoriesand im Bühnen-getriebe.

Tages Anzeiger, Alexandra Kedves 25.9.2010 PDF | 116 KBytes

HAUS DES FRIEDENS - P.S.

P.S. 30.9.2010

Thierry Frochaux

Im Eröffnungsstück der Winkelwiese, «Haus den Friedens», sitzen drei BundeswehrsoldatInnen wegen eines Motorschadens über Tage in einer ehemaligen Impfstation im afghanischen Hochland, wo sie zu viel Zeit haben. Diese Leere in mehrfacher Hinsicht, gepaart mit einer nur vage definierten Bedrohung, lässt alle drei schnell ihre freundliche Seite
vergessen und auf die bewährten Überlebensstrategien zurückgreifen.

Diese klassische Huis-Clos-Situation wird vom Autoren Lothar Kittstein im afghanischen Hochland angesiedelt, könnte aber (bis auf wenige Textstellen) gleichsam auf dem Mond oder im Mittelpunkt der Erde stattfinden– eine aktuelle Auseinandersetzung mit dem Afghanistankrieg bietet das Stück nicht. Dafür hat Marchella Incardona (vormals Maichle) die Wüste ins Kellertheater gebaut: Auf einem Tonboden, der schon an der Premiere bröckelt und bis zum Ende der
Spieldauer noch deutlichere Kampfspuren aufweisen wird, sind blickdichte Vorhänge und mehrheitlich gleissendes Licht (oder
Dunkelheit) die einzigen Mittel der Ausstattung neben wüstenfarbenen Tarnanzügen für die drei Darstellenden.
Der leicht untersetzte Soldat Lorenz (Gerrit Frers) ist schon länger dabei, war aber immer ein wenig zu faul, sich freiwillig für Einsätze
zu melden. Als der Engagierteste seiner Kameraden von einer Bombe in Einzelteilen auf vierzig Meter Umkreis verteilt wurde, schlich in ihm das schlechte Gewissen hoch – und drum ist er jetzt da. In der Armee ist er eigentlich nur, weil er dort mal einen kostenlosen
Weiterbildungskurs erhalten hat. Ein Mitläufer.
Die Neue, Marie (Sarah Hostettler) verwechselt sich mit Jeanne d’Arc, ist in ihrem Wagemut übereifrig, schöpft ihre Kraft aus dem Gebet und ist sich sicher, «für das Richtige» und «etwas noch grösseres» zu kämpfen:Eine Fanatikerin.
Der Chef, Michael Wolf als Jost, wusste einmal um den Grund für seinen
Wehrdienst, hat jedoch mit den Dienstjahren die Ideale gegen Sarkasmus getauscht. In seiner zackigen Ansprache und der kerzengeraden Haltung wirkt er am soldatenähnlichsten der dreien – und wäre froh, wenn die Frau in seiner Truppe wenigstens ne Lesbe wäre, dann wären einige Probleme von vornherein erledigt. Ein Verbitterter.

Regisseur Stephan Roppel legt viel Wert auf die Herausarbeitung dieser drei Persönlichkeiten und ihrer divergierenden Motivationen, hier zu sein. Mal sind sie fürsorglich, fast schon zärtlich, dann mackerhaft chauvinistisch bis sexistisch oder stehen mit leerem Blick ins Nirgendwo am komplett falschen Ort. Nur mit exakt getimten Auftritten und Abgängen bringt der Regisseur – neben dem Text – ein Tempo rein, das die jeweilige Brisanz der gerade gespielten Szene unterstreicht. Daneben dominiert Zurückhaltung, die auch darauf zurückzuführen ist, dass alle drei darauf erpicht sind, nicht gleich ihr Innerstes zu offenbaren. Natürlich nur, bis bei allen die Nerven blank
liegen und sie ihre Freundlichkeit und Scheu verlieren und ihre inneren Abgründe offenbaren. Diese äussern sich in Sehnsüchten: Bei Lorenz in Sexualität, bei Marie in endlich Action und bei Jost in der Abkehr von allem bisherigen. Dass sich in dieser Konstellation Konfliktstoff mit der Gefahr von körperlichen Übergriffen in mehrerer Hinsicht beinahe von
alleine einstellt, versteht sich und ist auch vornehmlich der Grund für die Einschätzung, dass diese Situation auch irgendwo angesiedelt sein
könnte. In «Haus des Friedens» durchleben alle drei eine Art Läuterungsprozess, an dessen Ende sie symbolisch ihren Frieden gefunden haben – wobei das Stück zumindest bei gewissen Figuren offen lässt, wozu sie diese Erkenntnis in letzter Konsequenz führt. Dass selbst zum Schluss noch Interpretationsspielraum in diesem Stück steckt, ist – neben der sorgfältigen Ausgestaltung der einzelnen Figuren und deren (verbalem) Zusammentreffen – eine seiner grossen Stärken. Viel von der Spannung an diesem Theaterabend steckt im Unausgesprochenen, das durch das Schauspiel dennoch oft ziemlich eindeutig wird.

P.S., Thierry Frochaux, 30.9.2010 34.019.PDF | 2 MBytes

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