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HUND HUND

«Frau, zugelaufen»
von Julia Stüssi
Züritipp, 10.11.2011

Die Autorin Sabine Wen-Ching Wang schrieb ein Stück über das Schreiben des Lebens.

Der Hund, um den es geht, heisst Hund. Hund Hund also. Kein Name, der etwas über Herrchen oder Herkunft verrät. Ein Hund, der Fragen aufwirft. Und eigentlich gibt es ihn auch gar nicht auf der Bühne, den Hund Hund, dafür eine junge Frau, der ein Koffer zugelaufen ist und die behauptet, in der Stadt fremd zu sein. Von der Geschäftsfrau Ingrid wird sie aufgenommen, vom Hundesitter Tom lässt sie sich Hundegeschichten erzählen. Wer ist die eigenwillige Fremde? Was hat das Hundefoto, das aus dem Koffer gefallen ist, mit ihr zu tun? Die junge Frau verweigert sich allen Fragen, erfindet Antworten bestenfalls, saugt die Leben von Tom und Ingrid in sich auf und probiert sie an. Zwischen Nähe und Distanz eiernde, zerbrechliche Beziehungen wachsen zwischen den drei Menschen. Das ist mal berührend, mal fast unheimlich.

«Hund Hund» handelt von Autorschaft im weiteren Sinn, derjenigen über das eigene Leben», so die Schweizer Dramatikerin Sabine Wen-Ching Wang. Die Dialoge ihrer drei Figuren sind verdichtete Alltagssprache, Rätsel und Schlüssel zugleich: hochpräzis, subtil bildhaft, mit viel Raum für Subtext. Ihr Stück ist beim Theaterclan Fünfnachbusch in besten Händen: Sorgsam inszeniert die Regisseurin Beatrix Bühler einen feinsinnigen Theaterabend mit wunderbaren Schauspielern und stimmiger Musik (Simon Ho), der unspektakulär und doch stark ist.

«Rund ums Vakuum»
von Anne Suter
NZZ, 18.11.2011

Ganz vorne rechts - so dass man beim Betreten des Theatersaals fast darüber stolpert - steht ein Hundekorb. Sein Bewohner taucht jedoch während der gesamten Aufführung nie auf. Kein Wunder, denn er existiert ja gar nicht. Oder vielleicht doch? Wie dem auch sei, der Hund, der den
neutralstmöglichen Namen trägt, nämlich schlicht und einfach Hund, bildet den Mittelpunkt des Geschehens auf der Bühne: ein Vakuum im Zentrum.

Verschiedene Identitäten

«Hund Hund» heisst denn auch der Titel von Sabine Wen Ching Wangs
Stück, das, produziert vom Kollektiv Fünfnachbusch, Anfang Oktober in
Bern uraufgeführt wurde und nun im Theater Winkelwiese zu sehen ist. Die in Zürich lebende Autorin lässt rund um das tierische Vakuum drei Menschen in stets wechselnden Zweierkonstellationen aufeinandertreffen. Micheline ist eine junge Frau, die eines Tages mit nichts als einem Rollkoffer in der Stadt auftaucht. Ingrid, eine erfolgreiche Geschäftsfrau um die vierzig, nimmt sie vorübergehend bei sich auf. Und dann ist da noch der Hundesitter Tom, dem die beiden Frauen immer wieder im Park begegnen. Die drei einsamen Stadtmenschen wissen nur das voneinander, was sie sich bei ihren meist kurzen Begegnungen erzählen - und lieben es dabei offensichtlich, sich erzählend eine neue Identität zu erschaffen, ja sogar verschiedene neue Identitäten. So sagt Micheline ihrer Gastgeberin Ingrid, sie sei verzweifelt auf der Suche nach jenem Hund, der sie zwanzig Jahre zuvor als ausgesetztes Baby gefunden habe, während sie sich Tom gegenüber als Ingrid ausgibt. Die Menschen sind in dem Stück ebenfalls eine Art Vakuen.

Fanatische Präsenz

Die Regisseurin Beatrix Bühler hat das Stück, das sich auch sprachlich durch viele Pausen auszeichnet, ruhig und präzis inszeniert - für ein hervorragendes Schauspieler-Trio. Marie Hiller verleiht ihrer Micheline jene kompromisslose, fast schon fanatische Präsenz, die Teenagern und jungen Erwachsenen eigen ist. Allein schon die Intensität, mit der sie ihr Sandwich kaut, bleibt unvergesslich. Cathrin Störmers Ingrid hingegen ist müde, psychisch müde, was sich am hohlen Blick der Schauspielerin eindrücklich zeigt. Bleibt schliesslich Julius Griesenberg als harmloser Tom, der keiner Fliege etwas zuleide tun zu können scheint - und am Ende doch eine Leiche im Keller hat, zumindest eine Hundeleiche im Garten. Doch vielleicht gab es den Hund ja auch gar nicht...

NZZ, 18.11.11 11.PDF | 131 KBytes

«Mit «Hund Hund» auf Identitätssuche»
von Andreas Tobler
TA, 19.11.2011

Aus dem Nichts taucht sie auf und erzählt eine krude Geschichte: die zwanzigjährige Micheline, die nach einem Hund sucht, der sie als Findelkind gefunden haben soll. Micheline ist die zentrale Figur von
«Hund Hund», einem bemerkenswerten Stück der in Zürich lebenden Dramatikerin Sabine Wen-Ching Wang über die Suche nach der eigenen Identität.

Bei Wangs Micheline geht diese Suche einher mit dem Abschütteln und Umschreiben ihrer bisherigen Biografie. Und der Übernahme von fremden Identitäten: Micheline nistet sich bei Ingrid ein, einer Businessfrau, der Cathrin Störmer in der Uraufführung des Stücks ein stimmiges Profil gibt. Bei ihr weckt Micheline fürsorgliche Gefühle und das Bedürfnis nach Nähe: «Steht dir fast besser als mir», sagt Ingrid, als Micheline eine ihrer Hosen trägt - und ahnt nicht, dass die Fremde bald auch ihre Identität probetragen wird. Gespielt wird Micheline von Marie Hiller, die etwas zu stark das Kindliche aus ihrer Figur herauskehrt, sodass man Michelines Identitätssuche allzu rasch als Problem einer Spätpubertären abtun könnte. Auch das Stück hat da Probleme: Es besteht die Gefahr, dass man in Micheline nur eine Borderlinerin sieht.

Dennoch: «Hund Hund» ist ein wirklich interessantes Stück, in dem städtische Einzelmenschen zusammengeführt werden, die alle etwas Prekäres haben. Auch Tom (Julius Griesenberg), der als Dogsitter tätig ist und der weiss, wo der titelgebende Hund namens Hund begraben ist. Beatrix Bühler hat mit ihrer Regie eine atmosphärische Inszenierung geschaffen, die von Simon Hostettlers Musik und Jackie Brutsches Videoszenen verdichtet wird. Einmal sehen wir auf den Schwarzweissaufnahmen den Drehkranz eines Karussells, der sich wie eine Krone um den Kopf einer Frau dreht: ein schönes Bild für die Figuren von «Hund Hund».

TA, 19.11.11 11.PDF | 120 KBytes

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