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LEERE STADT

EIN KLUGES STÜCK: "LEERE STADT" VON DEJAN DUKOVSKI

Isabel Hemmel, Tages Anzeiger, 26.9.2011

Es war eine gute Idee, Christoph Rath als Deserteur Gjero zu besetzen. Diesem dünnen jungen Mann mit den angstvollen Augen glaubt man sofort, dass er nicht weiss, „wozu dieser Krieg gut ist“. Das passt, denn in der Absurdität des Krieges spielt Dejan Dukovskis Stück „Leere Stadt“.
Im Theater Winkelwiese ist Gjero in einem Niemandsland aus zersplitterten Holzpaneelen gelandet, die herumliegen und herumstehen wie verkohlte Ruinen (Bühne: Marcella Incardona). Im Schlepptau hat er seinen Bruder Gjore, einen Gefangenen aus den Reihen des Feindes. Aber wer wo gekämpft hat, ist nicht mehr wichtig. Bei Sonnenaufgang werden die Truppen über beide herfallen. Den Brüdern bleibt eine Nacht, um das Leben noch einmal zu geniessen. Christoph Rath und Roland Bonjour tun das mit vollem Körpereinsatz. Sie ziehen Anzüge und spitze Schuhe aus den Trümmern und spielen Boutique. Skurril ist das. Dazwischen messen sie Kräfte und erdichten ständig neue Geschichten zu den ewig gleichen Themen: die grosse Liebe Maria, Sex mit Japanerinnen. Diese Redundanz macht lachen, auch weil die Tragödie stets präsent ist.
Es ist ein gescheites Stück, das der Mazedonier Dejan Dukovski geschrieben hat. In der Schweizer Erstaufführung von Stephan Roppel berührt es aber erst gegen Schluss, wenn aus Raths Gesicht der Schrecken gewichen ist und Gjero und Gjore nebeneinanderstehen, in rotem Bandeaukleid und schweinchenrosa Satinjacke, wiedervereint und doch verloren. Wenn sie sich mit Sonnenbrillen und Zigaretten für den anbrechenden Tag wappnen, der sie vernichten wird, entstehen Bilder, die nachwirken.

Isabel Hemmel, TA, 26.9.2011 PDF | 36 KBytes

TODESANGST IN DER GEISTERSTADT

Anne Suter, NZZ, 26. 9. 2011

Schweizer Erstaufführung von „Leere Stadt“ am Theater Winkelwiese

Dejan Dukovskis Stück „Leere Stadt“ dreht sich um zwei Todgeweihte, die sich ein letztes Mal am Leben berauschen – oder es zumindest versuchen.

„Der Mond fickt mir das Hirn“, sagt Gjero. „Fick den Mond“, antwortet Gjore. Der extremen Situation, in der sich das Brüderpaar befindet, lässt sich wohl nur mit drastischen Worten beikommen. Die zwei Männer haben sich seit Jahren nicht mehr gesehen und treffen nun mitten im Krieg aufeinander. Dass sie auf verschiedenen Seiten kämpfen, spielt insofern keine Rolle mehr, als sie beide desertiert sind. Eingekesselt zwischen den feindlichen Armeen, warten die Brüder auf den Morgen, der ihnen mit Sicherheit den Tod bringen wird. Alles, was ihnen jetzt noch bleibt, ist eine einzige Nacht in einer geisterhaft leeren Stadt.
Stephan Roppel, Leiter des Zürcher Theaters Winkelwiese, bringt „Leere Stadt“ zum ersten Mal auf eine Schweizer Bühne; am Samstag ist Premiere gewesen. Das 2007 in Kopenhagen uraufgeführte Stück des mazedonischen Theaterautors Dejan Dukovski spielt zwar in einem (nicht näher definierten) Krieg. Doch dieser Krieg, in den die zwei Brüder mehr zufällig hineingeraten zu sein schienen – „Ich habe nicht mal mitbekommen, wozu dieser Krieg gut ist“ - , gerät im Verlauf der exakt einstündigen Aufführung mit ihren rasend schnellen Dialogen immer mehr in den Hintergrund. Erst ganz am Schluss, wenn Gjero und Gjore gemeinsam in den Fluss springen, nackt bis auf die Sonnenbrillen, macht er sich durch dumpfes Grollen in der Ferne wieder bemerkbar.
Im Mittelpunkt des Stücks steht die ambivalente Beziehung zwischen den beiden Brüdern, die von Roland Bonjour und Christoph Rath absolut glaubwürdig verkörpert werden. Einerseits freuen die zwei Männer sich über ihr Wiedersehen, sind sich so nah, wie dies nur unter Geschwistern möglich ist; andererseits kommen alte Verletzungen wieder zum Vorschein und sorgen für eine hochagressive Stimmung: „Ich bin wie eine Waffe geladen“, sagt Gjore einmal. Trotz allem sind die Brüder vereint: in der Angst vor dem Tod – die jeweils dann buchstäblich greifbar ist im Theaterraum, wenn die zwei schweigend in die Leere starren – und im Wunsch, diesem letzten bisschen Leben, das ihnen bleibt, noch möglichst viel abzuringen.
Und so ziehen die zwei Männer denn schon bald ihre Uniformen aus und stürzen sich in einem offenbar verlassenen Geschäft in schicke Abendkleider. Ab diesem Moment erinnern die verkohlten, senkrecht aufgestellten Bretter, welche die Bühne hinten begrenzen (Ausstattung: Marcella Incardona), plötzlich nicht mehr an Kriegstrümmer, sondern an die Silhouetten von Wolkenkratzern. In einem Restaurant geniessen die Brüder Unmengen Kaviar und Champagner, bevor sie eine Bank ausrauben. Daraufhin gehen sie in ein Kasino, ein (leeres) Bordell, ins Theater, wo sie sich als Julia und Ophelia verkleiden, und in eine Kirche. Doch Freude will bei allem nicht aufkommen; die zwei stark geschminkten Gestalten in ihren dürftigen Frauenkostümen wirken zunehmend verloren und auch absurd. Das Einzige, was am Schluss übrig bleibt, ist die riesige Angst vor dem Sterben – und Gjeros immer wieder geäussertes Bedauern, „nie eine Japanerin gefickt zu haben“.

Anne Suter, NZZ, 26.9.2011 PDF | 38 KBytes

ICH FICK DEN SCHEISSKRIEG

Karl Wüst, SDA, 25.9.2011

«Leere Stadt» des mazedonischen Autors Dejan Dukovski (1969) hat die Spielzeit des Theaters an der Winkelwiese in Zürich eröffnet. Das Drama erzählt von zwei Brüdern, die im Krieg zueinander finden.

«Leere Stadt» ist ein Kriegsstück, so jedenfalls scheint es zu Beginn. Gjero (Christoph Rath), Soldat, graue Uniform, Militärstiefel, zieht an einem Strick einen Gefangenen auf die mit zerfetzten schwarzen Brettern eingekleidete leere Bühne.

Der Gefangene Gjore (Roland Bonjour) ist Gjeros Bruder - und sein Feind. Denn die Brüder, sie haben sich lange nicht gesehen, kämpfen auf entgegengesetzter Seite und sind zufällig zusammen zwischen die Fronten geraten.

Doch dem Autor geht es nicht um die Darstellung des Krieges, sondern um die Verständigung in einer verzweifelten Situation, um die Verdrängung des Schreckens in Zeiten des Krieges. Regisseur Stephan Roppel unterstreicht dieses Ziel mit atemlosen, gehetzten Dialogen. Dazwischen setzt er lange Pausen, während denen die Brüder suchend ins Leere blicken.

Saufen auf die letzte Nacht

Leer ist dieser Ort, wo die beiden zusammentreffen, ausgeräumt: Das Leben geht zu Ende. Das wissen Gjore und Gjero. Noch einmal aber wollen sie - wenn auch nur in der Fantasie - die Leere füllen, ihre Sehnsucht nach prickelndem Leben stillen und auf die Pauke hauen.

«Auf diese Nacht, auf die letzte Nacht», rufen sie und trinken gierig aus Champagnerflaschen. Sie haben Station gemacht in einem Kleidergeschäft und stecken nun in schwarzen Anzügen, eleganten Schuhen, Gjero hat sogar einen Hut auf dem Kopf.

Zu verlieren haben sie nichts mehr, die Fantasie treibt tolle Blüten, schwemmt die Brüder auch in ein Theater, in ein Bordell, zu einem Kiosk, sie knacken einen Safe in einer Bank, spielen Roulett im Casino, beten in der Kirche. Und immer spielt die Lüge mit. Sie dreht sich um die gemeinsame Liebe Maria oder um die Mutter, von der man bis zum Schluss nicht weiss, ob sie nun tot ist oder nicht.

Christoph Rath und Roland Bonjour spielen die beiden Brüder hervorragend. Mit Hilfe der Ausstatterin Marcella Incardona (Kostüme, Perücken, Schminke) geben sie dem Drama auch einen komödiantischen Drive.

Spürbare Bruderliebe

Eine Umarmung gibt es erst ganz am Schluss, bevor Gjero und Gjore gemeinsam ins Wasser gehen. Bis sie sich dazu aufraffen, geizen sie nicht mit gegenseitigen Anschuldigungen, Verletzungen, Beschimpfungen. Und trotzdem ist ihre Zuneigung, ihre Bruderliebe permanent spürbar.

Sie ziehen sich an, auch wenn sie räumlich getrennt sind. Und als sie sich prügeln und sich am Boden ineinander verkeilen, dann tun sie das eigentlich nur, um sich ganz nahe zu sein. Im Schmerz vereint prügeln sie nicht sich, sondern die Hoffnungslosigkeit. «Ich fick den Scheisskrieg», schreit Gjore, «ich fick ihn», echot Gjero, als vor Sonnenaufgang die ersten Explosionen zu hören sind.

Karl Wüst, SDA, 25.9.2011 PDF | 54 KBytes

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