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NIAGARA - EIN MANN FÄHRT AUF HOCHZEITSREISE

NIVEA STATT GRENZERFAHRUNG

Anne Suter, NZZ, 5.3.2012

«Und so musste ich mich in eine spaltbreite Lücke // Zwischen zwei unglaublich dicke Menschen von oben // Hinunterquetschen // Es war wie sich setzen in Zeitlupe // Mein Hintern nahm die Form eines Keils an // Dessen Spitze berührte nicht einmal die Sitzfläche // Meine Oberschenkel wurden übereinander gedrückt wie ein tektonisches Ereignis.» Der glatzköpfige, sympathisch bescheidene Mann auf der Bühne schildert die Szene im Bus zu den Niagarafällen derart plastisch, dass man ihn förmlich zusammenschrumpfen sieht. Die Episode nimmt, glücklicherweise, ein gutes Ende: «Nach einigen Momenten aber gab das Fleisch der Nachbarn wundersam ein wenig nach // Ich konnte atmen // Flach // Aber immerhin.»
Nach «Die Uhr im Bauch» (2007) und «1 Tag lang alles falsch machen» (2009) präsentiert der Schauspieler und Autor Jens Nielsen nun im Theater Winkelwiese sein drittes Soloprogramm. Die Sprachperformance «Niagara - Ein Mann fährt auf Hochzeitsreise», die am Donnerstag uraufgeführt worden ist, dreht sich um eine ungewöhnliche Reise zur Flitterwochen-Traumdestination, unternimmt der Mann sie doch ganz allein. Der Einsame, der festlich schwarz gekleidet ist (wie fürs Standesamt), beschreibt auch nicht die ganze Reise, sondern bloss den Abschnitt vom Hotelzimmer bis zu den Wasserfällen - und das dauert über eine Stunde. Kein Wunder, denn er schweift immer wieder ab, kommt vom Hundertsten ins Tausendste. Dies geschieht deshalb, weil der Mann seine Umgebung mit einer Art Kinderblick anschaut, der das Alltägliche als nicht selbstverständlich annimmt.
So entstehen aus banalsten Beobachtungen immer wieder völlig unerwartete und umwerfend komische Gedankengänge. Beim Betrachten seines Taschenmessers, das er lediglich zum Entfernen von Gepäcketiketten braucht, denkt der Mann etwa: «Das Messer war unterfordert // Wozu hatte ich es denn // Ich würde sagen das Messer war mein Geländewagen // Es gibt doch diese Stadtbewohner, die sich riesige // Geländewagen kaufen // Sie haben die geheime Hoffnung mit solchen Autos eine Grenzerfahrung // Um dieselbe Grenzerfahrung aber zu vermeiden // Wenden sie gleichzeitig ihre ganze Zeit und Mühe auf // Damit die Grenzerfahrung ja nicht // Und so fahren sie halt einkaufen // Nivea für den Mann // Und Blattspinat.» Sätze wie diese, vorgetragen mit Jens Nielsens überaus lebendiger Mimik - das muss man einfach gehört und gesehen haben!

MIT JENS NIELSEN AN DIE NIAGARA-FÄLLE REISEN

Alexandra Kedves, TA, 3.3.2012

Eine Ananas, ein Aargauer Akzent und ein abgedrehter Anti-Hochzeiter an den Niagarafällen: Das ist das Arrangement für die 80-minütige Soiree von Jens Nielsen, die jetzt im Theater an der Winkelwiese zur Uraufführung kam. «Niagara – Ein Mann fährt auf Hochzeitsreise» nimmt uns mit auf eine Abenteuertour durch einen der witzigsten, spritzigsten Köpfe der hiesigen Off-Szene.
Auch in diesem Programm stülpt sich der 1966 geborene Autor und Performer die Sprache über wie einen Handschuh: Er nimmt wörtlich, was nicht so gemeint war – etwa die Werbebehauptung der «Nützlichkeit» von Souvenirs; er kalauert explizit hilflos über die Anziehungskraft des Todes, und uns stockt – im Gedenken an Aglaja Veteranyi – der Atem; er bringt uns wieder und wieder zum Lachen, derweil er mit Leichenbittermiene auf seinem Höckerchen sitzt und von seiner Fahrt zu den Fällen erzählt.
Das Zimmer ist rosa, die Brillen der Paare hier offenbar auch, nur er ruft: «Es lohnt sich nicht!» Egal, ob er eine Wolfsfigur kauft, auf der ein weiterer Wolf abgebildet ist, oder ob er ein mundgeblasenes Füllhorn ersteht und damit zur Aussichtsplattform der Wasserfälle marschiert: Eine Antiklimax jagt die nächste, während hier einer tut, was alle tun, und bloss ein wenig anders draufschaut. Jens Nielsen ist ein trauriger Clown des Alltags, der froh macht: Unser «Niagara» Besuch jedenfalls hat sich gelohnt.

NIAGARA - KOMISCHES SOLOTHEATER VON JENS NIELSEN

Link zum Beitrag auf DRS2 von Kaa Linder

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