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STÖRFALL - NAHAUFNAHME TSCHERNOBYL

DREIMAL TSCHERNOBYL IN DER WINKELWIESE

Alexandra Kedves, Tages Anzeiger, 18.5.2012

Eine Theaterexplosion? Jedenfalls hat die Luzerner Werkstatt für Theater ihr Projekt «Störfall - Nahaufnahme Tschernobyl» so collagiert, dass die Soiree selbst ausser Kontrolle gerät und jede Form sprengt. Es ist ein Dreiakter, uraufgeführt 2010, vor Fukushima, dessen Teile nur lose zusammenhängen. So, wie den Menschen 1986 jede Illusion von der Sicherheit der Atomkraft um die Ohren flog, fliegen den Zuschauern jetzt Faktenfetzen, Bilderfetzen um die Ohren. Ein altes Paar (Judith Koch, Michael Wolf), das in der verstrahlten Zone lebt, beschwichtigt: Alles nicht so schlimm. Rückblenden mit Passagen aus russischen Nachrichtensendungen belegen das Gegenteil. Genial, wie hier eine Babuschka zum Reaktor wird: Hülle um Hülle soll vor der Strahlung schützen, doch der Geigerzähler tickt. Puppenspiel, Live-Video (Florian Olloz) und ein grausiger Soundteppich (Bruno Amstad) verbinden sich zur irren Erinnerung an das, was keiner verstanden hat: Hilflosigkeit ist das Grundgefühl im Projekt von Livio Andreina. Hilflos fühlen wir uns auch dem zweiten Akt ausgeliefert, wenn verzerrte Alexander-Kluge-Zitate mit Atommodellen, Comic-Erdkugeln und Schwarzweiss-Filmsequenzen verschmelzen.

Zäsur, dritter Akt: Monolog einer jungen Frau, die ihren Mann an die Strahlenkrankheit verlor und beschreibt, wie er langsam verfaulte - hier leistet Koch mit ihrem kargen Spiel Grosses. Klar, der Abend zerfällt, überfordert, die einzelnen Teile sind zu lang. Aber seine ungeglättete Form erzählt auch von unserm Versagen angesichts unserer selbst gemachten Katastrophen.

BABUSCHKA IST KONTAMINIERT

Kritik, Der Bund, 8.10.2011 DOCX | 6 MBytes

DIE KATASTROPHE TICKT AUF DER BÜHNE WEITER

Kritik, Berner Zeitung, 8.10.2011 PDF | 5 MBytes

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