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WIR WAREN

BIS DASS DER TOD SIE EINT

Anne Suter, NZZ, 17.9.2012

Das namenlose Paar auf der Bühne hat einen Plan, einen ziemlich radikalen Plan. «Meine Frau und ich, wir bringen uns in zwei Wochen um», sagt der Mann (Hansrudolf Twerenbold). Und die Frau (Suly Röthlisberger) ergänzt: «Die Entscheidung, da haben wir drüber nachgedacht, jetzt sind wir noch bei klarem Verstand.»

Indirekter Dialog

Die zwei letzten Lebenswochen verbringt das Ehepaar in einem rosaroten Bungalow in Südfrankreich. Mit dabei ist der über alles geliebte Pudel. Er soll das kinderlose Paar auch in den Tod begleiten. Wie Frauchen wird er eine Schlaftablette bekommen, «unter sein Futter gemischt», während Herrchen wach bleibt und das Auto weg von der Strasse lenkt, so dass es hundert Meter in den See hinunterstürzt.

«wir waren» von William Pellier ist ein eigenwilliges Werk: halb Theater-, halb Prosatext. Der 1961 geborene französische Autor gibt nicht an, welcher Satz von welcher Figur gesprochen wird, und er verzichtet auf jegliches Satzzeichen. «Winkelwiese»-Leiter Stephan Roppel, der das 1999 uraufgeführte und letztes Jahr auf Deutsch erschienene Stück als Schweizer Erstaufführung auf die Bühne bringt, lässt das Ehepaar auf zwei blauen Plasticstühlen sitzen, dem Publikum frontal zugewandt. Das ist absolut stimmig, sprechen die beiden doch (fast) ausschliesslich zu den Zuschauern. Inhaltlich beziehen die Eheleute sich jedoch aufeinander, sodass eine Art indirekter Dialog entsteht.

Das allein ist schon ziemlich komisch – ganz zu schweigen von den abrupten Themenwechseln. So sinniert das Paar in einem Moment über Leben und Tod, um sich im nächsten über die deutschen Touristen auszulassen: «Die leben elf von zwölf Monaten sehr streng und kontrolliert, im zwölften lassen sie auf den Balearen die Sau raus.»

Im Heim dahinvegetieren

Auf einmal bleibt der Mann allein zurück auf der mit blauen Fliesen belegten Bühne (Marcella Incardona). Er sieht nun plötzlich viel älter aus und hat, seinem unruhigen Blick und dem nervösen Händezucken nach zu schliessen, grosse Angst. Er spricht von einer Sozialarbeiterin, die mit der Zwangseinweisung in ein Heim drohe. Erst nach einer Weile versteht man, dass seit der Anfangsszene Monate bis Jahre verstrichen sind – und der geplante Selbstmord ganz offensichtlich nicht geglückt ist. Bald ist der zunehmend wirren Rede des Mannes zu entnehmen, dass das Paar nun im Heim ist. Während die Frau vor sich hin vegetiert, versucht der Mann verzweifelt, die Fäden zumindest einigermassen in der Hand zu behalten, was ihm jedoch je länger, je weniger gelingt.

Abgrundtief traurig

Es ist grossartig, wie Hansrudolf Twerenbold diesen hilflosen alten Mann spielt: mit fahrigen Gesten, schwerer Atmung und Augen, welche die Welt schon nicht mehr richtig wahrnehmen. Das ist abgrundtief traurig und so beklemmend, dass man sich bisweilen wünscht, die Vorstellung sei bald zu Ende. Und dann kommt unvermutet der Schlusssatz, der einen Bogen schlägt zum Anfang: «Wir hatten das nicht geplant, dass einer vor dem anderen stirbt, unser Tod zusammen im Auto war, um zusammenzubleiben, alles erscheint jetzt zerrissen.»

EIN PAAR VOR DEM SELBSTMORD - WILLIAM PELLIERS «WIR WAREN»

Andreas Tobler, Tages Anzeiger, 17.9.2012

«Meine Frau und ich, wir bringen uns in zwei Wochen um»: So beginnt das namenlose Paar des französischen Dramatikers William Pellier zu erzählen. Wir hören, dass der Mann «in der Chemie» tätig war und dass er es nun auf der Lunge hat; wir erfahren alles über die Selbstmordpläne, den Pudel des Paares, den die beiden ebenfalls mit in den Freitod nehmen wollen, und die Nebenschauplätze, auf denen sich die beiden zerrieben haben: Der Pool in der Feriensiedlung ist immer verschmutzt; die darum herum spielenden Kinder sind «potenzielle Sadisten». Und auch zu Hause ist es nicht mehr wie früher, seit in unmittelbarer Nachbarschaft Hochhäuser gebaut wurden, in denen nun der «halbe Orient» wohnt.

In Pelliers «wir waren» lernen wir also ein Paar kennen, das im Leben kein Glück gefunden hat und das nun allen anderen dafür die Schuld gibt. Dennoch leiden wir mit diesen intoleranten Egomanen mit, nicht zuletzt, weil Suly Röthlisberger und Hansrudolf Twerenbold uns das Paar in einem feinen Doppelspiel nahebringen, das Stephan Roppel in seiner Regie mit wenigen Gesten und Gängen akzentuiert.

Doch dann gibt es noch einen zweiten Teil, den Hansrudolf Twerenbold allein bestreiten muss. Und der dauert. Schuld daran ist Pellier, der in seinem Stück unbedingt noch eins draufsetzen musste: In einer Albtraumerzählung berichtet der Mann von der Zeit nach dem gescheiterten Selbstmordversuch. Von einer Zwangseinweisung in ein Heim und der Versteigerung des Einfamilienhauses ist die Rede. Aber all das ist dann nur noch ein beliebiges Aneinanderreihen von Unglück und ein Wühlen in unseren Verlustängsten, auf das man gerne verzichtet hätte.

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