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ANTJE THOMSGESPRÄCH ZWISCHEN ANTJE THOMS UND STEPHAN ROPPEL Stephan Roppel: Antje Thoms, was ist die Perspektive der Figuren von «Pit-Bull»? Was haben diese Menschen für eine Erwartung an das Leben? Antje Thoms: Einfach gesagt: keine Perspektiven, aber riesige Erwartungen. Komplizierter: Die zentrale Figur des Stückes – Thomas – hat alle Erwartungen fallengelassen, ernüchtert steht er im Leeren, seine einzige Perspektive scheint der – selbstbestimmte – Tod. Um ihn herum agiert das Leben, ein Dreigestirn, das sich die Perspektivenlosigkeit nicht eingestehen will, drei Figuren mit unterschiedlichen, aber unglaublich konsequenten Erwartungen. Diese Erwartungen sind ebenso einfach wie prägnant: Liebe und Glück oder Stephan Roppel: Du sagst, die Figuren haben über den Rückzug ins Private, den Konsumtrip oder den Terrorismus hinaus keine Perspektive. Ist das eine Diagnose, die Deiner Meinung nach allgemeingültiger ist oder trifft das eher speziell auf diese Leute in den Vorortgemeinden der französischen Metropole zu? Antje Thoms: Für mich hat das mit den französischen Vorortgemeinden nicht viel zu tun. Und obwohl Spycher sein Stück Stephan Roppel: Houellebecq hat in seinen Büchern die Tristesse und Aushöhlung einer vom freien Markt dominierten Antje Thoms: Ich mag Houellebecq einfach nicht und finde es furchtbar, dass er immer und überall auftaucht. Spycher hat sicher nicht viel mit Houellebecq zu tun, dafür ist er zu romantisch, zu idealistisch und zu moralisch im positiven Sinn. Er glaubt an einen Sinn im Leben und die Notwendigkeit, danach zu suchen. Außerdem beschreibt er Figuren, die tatsächlich am Rand unserer Gesellschaft leben, keine gutsituierten, eigentlich mitten im Leben stehenden Stephan Roppel: Ist diese Weltsicht eine Modeströmung Antje Thoms: Ganz sicher und diese Weltsicht lässt sich nach Antje Thoms: Die Siedlung ist ein ambivalenter Lebensraum. Der Ort, der einen einengt und an dem man sicher ist. Ein Ort, aus dem man nie herauskommt, der einen festhält, an einem klebt, auch wenn man lang schon weg ist, an dem man sich zu Tode langweilt. Ein Ort, an dem man sich auskennt und sicher fühlt, weil man die Spielregeln kennt, die Gesetze, die Wege und geheimsten Verstecke, an dem man stark sein kann, weil man keine Angst haben muss. Ein Ort, den man hasst und liebt und den die meisten nie verlassen. Stephan Roppel: Wie würdest Du das Klima in diesem Antje Thoms: Dieser «Mikrokosmos» ist ein Beispiel für alle Stephan Roppel: Ist das in erster Linie eine jugendliche Antje Thoms: Merkwürdigerweise ist das in Spychers Stück Stephan Roppel: Welche Bedeutung hat das Kämpfen im Alltag der einzelnen Figuren? Antje Thoms: Alle Figuren des Stücks sind Kämpfer in eigener Stephan Roppel: Gibt es im Stück auch Humor? Haben die Antje Thoms: Ehrlich gesagt, wenn man es liest, ist es nicht sehr humorvoll, von ein paar sprachlich lustigen Wendungen, ein paar komischen Rhythmisierungen mal abgesehen. Wenn man es sich aber vorstellt: So viele ernsthafte, fanatische und traurige Menschen zusammen, ergeben auf der Bühne sicher Komik. Ich finde es meistens komisch (und auch traurig) Leuten bei ihren alltäglichen Querelen zuzuschauen, wie zum Beispiel in «Songs from the Second Floor» oder in «Hundstage»... Stephan Roppel: Was sind die ganz kleinen Glücksstrategien Antje Thoms: Einmal gestreichelt zu werden, mit jemandem Antje Thoms wurde 1976 in Stralsund geboren. Nach dem Studium der angewandten Theaterwissenschaften in Giessen arbeitete sie als Regieassistentin und Regisseurin am Theater Konstanz und am Staatstheater Hannover. «Pit-Bull» von Lionel Spycher ist ihre erste Inszenierung am Theater an der Winkelwiese. |
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