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DANIELA JANJIC

GESPRÄCH ZWISCHEN DANIELA JANJIC UND STEPHAN ROPPEL

Stephan Roppel: Die Figuren in Deinem Stück sind ein junges
Paar von unterschiedlicher ethnischer Herkunft und der Bruder der Frau. Wieso hast Du Dich für diese Figurenkonstellation entschieden?

Daniela Janjic: Als wir in der ersten Phase des Dramenprozessors für unsere werdenden Stücke noch Ideen gesammelt
haben, war für mich ziemlich bald klar, dass ich über den Krieg schreiben wollte. Mein Wunsch war allerdings zu versuchen, so objektiv wie möglich zu bleiben. Zuerst wollte ich die drei verschiedenen Nationalitäten durch je eine Figur vertreten. Doch die Figuren mussten untereinander auch emotional gebunden sein, wie das auch in der Wirklichkeit oft der Fall ist. So entstand zuerst die Konstellation des Paares. Der Bruder stand dann irgendwann für das Störende, das von
aussen kommt und dem man ausgeliefert ist, auch wenn man das am Anfang nicht wahrhaben möchte. Mit der Zeit wurde mir klar, dass es unmöglich ist, den gesamten Hergang des Bosnien-und-Herzegowina-Krieges, an den ich dabei dachte, zu schreiben. So konzentrierte ich mich auf einen Teil und liess dann die dritte Fraktion nur in der Regieanweisung, wobei die Tatsache, dass diese auch existiert, für mich während der ganzen Zeit mitschwingt.

Stephan Roppel: Was bedeuten Schuld und Vergebung für Deine Figuren?

Daniela Janjic: Ich denke, meine Figuren haben gleiche Vorstellungen von Schuld und von Vergebung wie die meisten Menschen. Nur dass sich bei meinen Figuren die Grenzen dieser beiden dadurch verwischen, dass sie sich plötzlich in einem Ausnahmezustand befinden.

Ich glaube, dass es dort, wo wirklich Schuld ist, eine gänzliche Vergebung nie geben kann. Sowieso, um «vergeben» zu
können, muss man sich sicher sein, dass man selbst vollkommen frei von Schuld ist. Und man ist sich gerne sicher, frei von Schuld zu sein. Nur glaube ich persönlich, dass das im Krieg nicht möglich ist. Man kann und will ja nie wahrhaben, dass man oft selbst auch Anteil an der Schuld trägt. Und wenn man nicht einmal genau weiss, bei wem die Schuld liegt, ist es noch schwieriger zu vergeben.

Stephan Roppel: Die Figuren verfügen in Deinem Stück über keine Sprache, die Ihnen helfen würde, ihre Probleme zu überwinden. Im Gegenteil habe ich den Eindruck, dass das Reden die Zerwürfnisse zwischen den Menschen vergrössert. Warum ist das so?

Daniela Janjic: Zuerst einmal halte ich mich selbst und auch viele andere Menschen für unfähig, auszudrücken, was sie wirklich sagen wollen und noch viel unfähiger, einander wirklich zu verstehen. Irgendwie versteht man ja immer, was man verstehen will. Wenn wir nicht fähig sind, uns klar auszudrücken, sind wir nicht fähig, klar zu denken. Der Rest ist Hilflosigkeit, die im schlimmsten Fall in Gewalt ausartet. Aber wer bin ich, um etwas über die Sprache zu predigen?

Stephan Roppel: Manchmal ist es ein einziger Satz, der mich von einem Stück überzeugt. Der Bruder sagt an einer Stelle: «Scheiss drauf. Irgendwie hatten die immer Gärten. Zweithäuser und Gärten.» Einerseits interessiert mich das, weil der Satz auf ein Wohlstandsgefälle verweist. Denn ich denke manchmal, dass auch die Schweiz ohne Wohlstand als politische Gemeinschaft nicht mehr existieren würde. Aber der Text berührt mich vor allem, weil da der Mensch in seiner Verletzlichkeit sichtbar wird. Ich suche, glaube ich, intuitiv immer Stücke, in denen es um diese Verletzlichkeit geht. Wie ist das in «Gelbe Tage»? Gibt es da Abstufungen zwischen den Figuren in Bezug auf deren Widerstandskraft? Was sind die Überlebensstrategien Deiner Figuren?

Daniela Janjic: Ich glaube nicht, dass es Abstufungen gibt. Jeder von ihnen ist am Ende auf seine Weise an der Situation gescheitert und kaputt gegangen. Am deutlichsten wird das bei der Frau. Das Paar ist insofern schwerer betroffen, dass ihr Glaube an ein friedliches Zusammenleben der verschiedenen Gruppen zerstört wurde. Für sie zu zweit gibt es keinen Platz mehr in der neuen Ordnung, die keine ist. Auch wenn nun jeder auf seiner Seite ist, ist der Hass, der im Krieg entstand, noch grösser. Nichts wurde gelöst, wie das durch Krieg
auch nie geschieht. Sie müssen jetzt mit den Folgen leben.

Stephan Roppel: Der Bruder verschärft durch seine Argumente
schon von Anfang an den Konflikt. Woher kommt seine Weltsicht? Ist sie das Resultat gelebter Erfahrung?

Daniela Janjic: Ich weiss nicht, ob alle seine Ansichten auf
gelebter Erfahrung gründen. Aber um Ansichten zu haben, muss man nicht alles selbst erlebt haben. Man wird ja ständig beeinflusst, durch die Menschen um einen herum, durch Medien.

Als ich im damaligen Jugoslawien in die erste Klasse kam, fragte mich ein Mädchen, was ich sei. Ich hatte überhaupt nicht verstanden, was sie damit meinte. Meine Eltern haben nie Wert auf Nationalitäten gelegt und ich war total naiv, mir war überhaupt nicht klar, dass ich ein Kind aus einer ethnisch gemischten Ehe war. Vermutlich, weil ich es war. Bei dem Mädchen war das ganz anders. Sie sah mich bereits in ihrem Alter als eine von den «anderen» – was das auch immer zu bedeuten hat. Ich glaube zwar, sie verstand das selbst nicht wirklich, aber daraus wurde klar, dass es für ihre Eltern sehr wohl eine wichtige Rolle spielte, welcher Nationalität sie waren. Das klingt vielleicht extrem, aber der Nationalstolz schafft es erstaunlicherweise immer wieder, sich durchzusetzen, durch Angstmacherei, Komplexe, keine Ahnung warum. Das ist eine der Fragen, die für mich immer offen bleiben werden.

Stephan Roppel: Welche Vorstellungen von Glück haben
Deine Figuren?

Daniela Janjic: Sie wollen einfach ein ganz normales Leben. Sie finden ihre Arbeit mehr oder weniger in Ordnung. Sie wollen in die Ferien, ihrem Kind das Wichtigste bieten können. Wobei der Bruder vielleicht schon jemand ist, der das Bedürfnis hat, die Welt zu verändern, zu verbessern. Ob er dabei den richtigen Weg verfolgt, ist natürlich fraglich, aber er hat idealistische Vorstellungen und doch weiss er nicht so wirklich, was er will.

Der Bruder muss ja auch etwas Widersprüchliches, Provokantes haben. Man muss seine Hintergründe, die im Grunde vielleicht gar nicht böse sind, auch nicht alle verstehen. Ich mag den Bruder, gerade weil er widersprüchlich ist. Weil er altklug ist und eigentlich selbst nicht sicher ist, ob er an das, was er sagt, glauben soll. Er mischt sich in die Beziehung ein, wie der Krieg, auch ungefragt, einfach über einen kommt. Man weiss nicht wirklich warum. Man versteht nicht, wie es dazu kommen kann. Ich glaube, um sich in einer Kriegssituation
Sicherheit vorzumachen, ist es oft einfacher, abzustellen und die anderen verantwortlich zu machen. Man will ja auf der Seite des Guten sein, nur verwischen sich Gut und Böse meiner Meinung nach im Krieg. Ich würde mir nie anmassen, eine der drei Fraktionen in diesem Konflikt als den Hauptschuldigen zu bezeichnen. Seltsamerweise nimmt sich die Welt fast immer das Recht heraus zu urteilen. So ist es einfacher. Wir wollen daran glauben, dass es einen Bösewicht gibt.

Einmal war in meinem früheren Gymnasium ein Autor zu Besuch, der vor allen Schülern eine ziemlich klare Äusserung gegen eine bestimmte Bevölkerungsgruppe machte. Das fand ich ziemlich anmassend, besonders, da er nichts Neues behauptete. Seine Aussagen beruhten auf den allgemeinen Überzeugungen der westlichen Welt, wenn es um «Problemgebiete» wie das ehemalige Jugoslawien geht.

Stephan Roppel: Ich möchte noch auf eine andere Textstelle
in Deinem Stück zu sprechen kommen, die mich von Anfang an beeindruckt hat. Gegen Ende des Stückes sagt die Frau zu ihrem Mann: «Wir können uns betrinken gehen. Hörst Du mich. Wir können rausgehen und uns betrinken.» Und wenig später sagt sie: «Das ist krank ... dass wir uns immer betrinken, um uns zu versöhnen.» In dieser bedingungslosen Haltung der Frau zeigt sich neben aller Ausweglosigkeit eine grosse Menschlichkeit, jedenfalls lese ich das so. «Gelbe Tage» ist für mich auch ein Stück über die Liebe. Und über das Unvollständige im Leben.

Daniela Janjic: Ja, das ist so. Und auch über die Unbegreiflichkeit, wie es zu so etwas wie Krieg kommen kann und wie
man sich plötzlich in einer Situation befindet, über die man keine
Kontrolle mehr hat, wie sich die Grenzen von Gut und Böse verwischen können, obwohl man sich das vorher nie hätte vorstellen können.

[/i]Das Gespräch fand im Januar 2008 statt und erschien zum Spielzeitthema «Fremdenzimmer» im Winkel Nr. 11. Anlass war die Uraufführung von Daniela Janjics Stück «Gelbe Tage» im Theater Winkelwiese. «Gelbe Tage» ist im Dramenprozessor entstanden.[/i]

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