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EBERHARD KÖHLERGESPRÄCH ZWISCHEN EBERHARD KÖHLER UND STEPHAN ROPPEL Eberhard Köhler ist Initiant und Regisseur der Produktion «Alle Vögel sind schon da. Eine Konferenz in Zimmerwald», welche im November 2014 am Theater Winkelwiese zu sehen ist. Stephan Roppel: Die Konferenz in Zimmerwald war eine kleine Episode in der Geschichte um den 1. Weltkrieg, wie bettet Ihr sie in die historischen Zusammenhänge ein? Wieviel Wissen setzt ihr beim Zuschauer voraus? Eberhard Köhler: Das Stück, welches wir gemeinsam entwickeln, sollte sich aus sich selbst heraus erklären. Wenn man schon etwas über Zimmerwald gehört hat, schadet das natürlich nichts; im Mai dieses Jahres wurde beispielsweise im Schweizer Fernsehen eine interessante Dokumentation über den «roten Fritz» ausgestrahlt. Das war ein Schweizer Freund Lenins, der ebenfalls an dieser Konferenz teilnahm und zwei Jahre später die ganze Zusammenarbeit mit dem deutschen kaiserlichen Geheimdienst und Lenins Eisenbahnreise durchs kriegsführende Deutsche Reich ins revolutionäre Russland organisierte. Etwas zugespitzt lässt sich formulieren: ohne Schweizer Know-how keine bolschewistische Revolution. Wir setzen kein Wissen voraus, aber vielleicht führt das Vorhandensein solchen Wissens zu zusätzlichem Vergnügen, weil man die eine oder andere Anspielung auf die reale Geschichte besser versteht. Wir werden uns aber auch von den historischen Vorgängen emanzipieren und Elemente des russischen und des schweizerischen Märchens integrieren. So kann die Handlung heute spielen und trotzdem dürfen die historischen Vorgänge durchscheinen oder die Hintergrundfolie bilden. Die Schweizer Dramatik hat ja, beispielsweise mit Dürrenmatts Physikern oder Frischs Chinesischer Mauer, eine lange Tradition, in der reale historische Figuren in einer fiktiven Fabel agieren. Stephan Roppel: Die Vorstellung, dass sich internationale politische Grössen im provinziellen Zimmerwald als Ornithologen getarnt versammelten, hat eine gewisse Komik. Was interessiert Euch abgesehen von dieser Komik aus heutiger Sicht an dieser Konferenz? Eberhard Köhler: Uns interessiert jetzt, vor Probenbeginn, natürlich eine ganze Menge. Zunächst mal ist da dieses Manifest der historischen Konferenz, das könnte man in grossen Passagen unverändert auch auf die aktuellen politischen Entwicklungen, beispielsweise im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise beziehen. Im Aufeinandertreffen von dörflicher Provinz und Metropole, also internationaler Zeitgeschichte und Weltpolitik liegt ein Potential. Ebenso im Zusammenspiel der zwei Kulturen. Auch birgt die Situation dieser getarnten Konferenz in Zimmerwald das Element der Verstellung, was per se theatralisch ist. Doch jenseits aller komischen Elemente kann man jedoch sagen, dass in Zimmerwald schon einmal eine Form der Untergrundarbeit unter Laborbedingungen geübt wurde, die dann über hundert Jahre hinweg zu den fürchterlichsten Folgen geführt hat. Letztlich hat die «Partei neuen Typs» auf lange Zeit jegliche relevante radikale progressive Option kompromittiert oder verhindert. Solange Lenins Mumie vor aller Augen langsam auf dem Roten Platz verrottet, scheint sich daran nichts zu ändern. Oder gibt es, zumindest im Märchen, einhundert Jahre später eine Option für ein Neuerzählung der Geschichte? Stephan Roppel: Ist der Umgang der Gemeinde Zimmerwald mit ihrer eigenen Geschichte ein Thema im Stück? Eberhard Köhler: Im Stück treten verschiedene typisierte Figuren aus dem Dorf auf. Das eröffnet die Möglichkeit, verschiedene Positionen miteinander in Konflikt geraten zu lassen: das reicht von der «Schande», an die man nicht erinnert werden möchte, über die freundliche Neugier den internationalen Besuchern gegenüber, den Stolz über Errungenschaften der Vergangenheit, die zuvorkommende Gastfreundschaft bis hin zur heimlichen Hilfeleistung für die subversiven Vorhaben. Stephan Roppel: Du hast durch die Zusammenarbeit mit dem Teatr Pokoleniy in St. Petersburg Erfahrung in interkultureller Zusammenarbeit - was sind die Herausforderungen? Eberhard Köhler: In den den neun Jahren, in denen ich bei Pokoleniy bin, gab es eine Menge Zusammenarbeiten mit der Schweiz, mit den USA, mit Deutschland. In der mehrsprachigen Probenarbeit verlangt allein schon der Vorgang des permanenten hin und her Übersetzens von allen Beteiligten viel Toleranz und Geduld. Ist, wie im Falle von «Alle Vögel sind schon da. Eine Konferenz in Zimmerwald», auch das künstlerische Resultat mehrsprachig, steigen die Herausforderungen sprunghaft. Aber auch die feinen Unterschiede der Kulturen, auch der Theatervorstellungen, die Missverständnisse, die unterhalb der Wahrnehmungsschwelle liegen und erst viel später an die Oberfläche kommen, stellen eine Herausforderung da. Ebenso der unterschiedliche kulturelle Kontext in dem Theater gemacht und wahrgenommen wird sowie die politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, das materielle Gefälle zwischen der Schweiz und Russland. Bei aller Neugierde aufeinander machen Verschiedenheiten zwar auch durchaus Angst, aber wenn wir uns im geschützten Raum des künstlerischen Experiments diesen Herausforderungen nicht aktiv stellen, wie sollen wir dann von den Politikern, Meinungsmachern, Medienleuten und Wirtschaftsmächtigen verlangen, dass sie nicht wieder in diese nationalen Reflexe von vor hundert Jahren zurückfallen. Ich jedenfalls habe zur Zeit ein Déjà-vu nach dem anderen, wenn ich die Nachrichten anstelle. Glücklicherweise darf man auch sagen, dass die sehr positiven Erfahrungen, die wir bei unseren letzten Auftritten in der Schweiz machen durften, enorm helfen. Meine Kollegen in Russland freuen sich schon jetzt vor Projektbeginn riesig auf das Wiedersehen mit der Winkelwiese, dem Schlachthaustheater in Bern, dem Theater Chur und den damals liebgewonnenen Kollegen. Stephan Roppel: Wie fliessen die verschiedenen Perspektiven der Beteiligten auf den Stoff in die Arbeit ein? Eberhard Köhler: Wie setzen einen Prozess in Gang, in dem das Berner Autorenteam szenische Vorschläge schreibt und in die Proben einbringt und in dem gleichzeitig, wie im devising theatre, das ganze zweisprachige Ensemble in Improvisationen Material generiert. Der Berner Musiker Simon Ho entwickelt unter Beteiligung der musikalischen Fähigkeiten der Spieler prozessbegleitend eine Musik, genauer, einen soundscape, eine akustische Landschaft. Danila Korogodsky, der künstlerische Leiter des Teatr Pokoleniy und Ausstatter dieses Projektes wird visuelle und auch szenische Provokationen entwickeln und im Dialog mit mir vom Zuschauerraum aus helfen, unsere widersprüchliche Perspektive auf Geschichte, Schweiz und Russland und die Verflechtungen dieser Welten spürbar werden zu lassen. Aus diesen vier Quellen versuchen wir einen Abend zu entwickeln, der durchaus Raum für unterschiedliche Perspektiven und verschiedene Meinungen lässt. |
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