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GAËL ROTHGESPRÄCH ZWISCHEN GAËL ROTH UND STEPHAN ROPPEL Stephan Roppel: Die zentrale Figur in Deinem Stück ist eine Frau, die mit einem Soldaten der Besatzungsmacht ein Kind gezeugt hat und deswegen gesellschaftlich geächtet wird. Welche Konflikte ergeben sich daraus? Gaël Roth: Der zentrale Konflikt, der sich daraus ergibt, ist die Frage nach der Richtigkeit des Handelns der Frau. Darf die Frau einen Soldaten der Besatzungsmacht lieben und mit ihm ein Kind zeugen? Oder ist eine solche Liebschaft grundsätzlich verwerflich? Es ist ein Konflikt zwischen dem Individuum und der Gesellschaft. Zwischen dem Streben des Einzelnen nach Glück und der einschränkenden sozialen Macht der Gemeinschaft. Dieses Kind, das die Besatzungszeit hervorgebracht hat, ist der Beweis, dass es die Besatzung gegeben hat, und einer, der sich nicht ohne weiteres aus der Welt schaffen lässt. Auch wenn sich alle Beteiligten wünschen, dass das Trauma der Besatzungszeit der Vergangenheit angehört, ist das mit der Existenz des Kindes nicht mehr möglich. Sie werden gezwungen sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Daraus ergeben sich dann alle Konflikte des Stückes. Stephan Roppel: Du interessierst Dich in «Chinin» für postkoloniale Gesellschaftsstrukturen. Kannst Du Dein Interesse daran ein bisschen genauer umschrieben? Gaël Roth: Konstellationen wie diejenige in «Chinin» sind einfach ungemein praktisch, um darzulegen, worum es mir geht. Im vorliegenden Fall die Frage nach dem richtigen Handeln eines Individuums in einem gesamtgesellschaftlichen Kontext. Sie lassen Raum für Extreme und wirken als Brandbeschleuniger. Dass das Geschehen auf einer sumpfigen Insel unter tropischen Verhältnissen stattfindet und dabei eine Besatzungsmacht eine Rolle spielt, hat mir wohl die Zuschreibung «postkolonial» eingebracht. Damit kann ich mich einverstanden erklären. Ganz ursprünglich war ja das Stück in Frankreich 1944 angesiedelt. Es hat sich aber schnell gezeigt, dass mich diese präzise Lokalisierung in der Zeit sehr einschränkt. Stephan Roppel: Deine Stoffe sind ausgeprägt politisch. Bist Du mit einer solchen Zuordnung einverstanden oder reizt sie eher zum Widerspruch? Gaël Roth: Mir widerstrebt eine solche Einordnung. Gleichzeitig muss wohl ich einsehen, dass dieses Adjektiv an mir haften bleibt. Wenn «politisch» die Auslotung des Verhältnisses zwischen Individuum und Gemeinschaft bedeutet, dann sehe ich kein Problem mit diesem Label. Wenn «politisch» aber mit Vermittlung eines Programms oder Aufruf zu Veränderung verknüpft wird, dann schreibe ich keine politischen Stücke. Für mich geht es immer um die Rettung der Figuren und nicht um die Rettung der Gesellschaft, in der sie leben. Letztlich aber führen solche Kategorien immer in die Irre. Denn sie verleiten einen dazu, mit spezifischen Erwartungen ins Theater zu gehen und nicht dazu, etwas Neues – und sei es noch so klein – zu entdecken. Stephan Roppel: Der Abzug der Besatzungsmacht, der dem Anfang des Stückes unmittelbar vorangeht, bedroht Figuren auf unterschiedliche Art und Weise. Was löst das Machtvakuum für individuelle Krisen und Konflikte bei den Figuren aus? Gaël Roth: Es gibt ja vier Figuren im Stück. Der Soldat und Vater des Kindes, die Frau und Mutter des Kindes, der Widerstandskämpfer und der Beamte. Sie alle sind vom Abzug der Soldaten direkt betroffen. Die Konflikte und individuelle Krisen, die daraus entstehen sind vielfältig. Für die Frau ist es die Frage, ob ihr Handeln richtig war. Und was sie nun macht, da sie jetzt alleine ist mit dem Kind. Der Soldat hat den Konflikt zu ertragen, dass er Frau und Kinder auf dem Festland und eine Geliebte auf der Insel hat. Und beide nichts voneinander wissen. Für den Widerstandskämpfer ist es die Frage, wofür er gekämpft hat und ob es dem entspricht, was er nun nach dem Abzug der Soldaten in der Hand hält. Und für den Beamten geht es darum, dafür zu sorgen, dass seine Machenschaften aus der Besatzungszeit nicht auffliegen. Alle aber stehen sie vor einem Haufen Scherben und müssen damit fertig werden. Stephan Roppel: «Chinin» entsteht als Stückauftrag in Zusammenarbeit mir der Stiftung Dürrenmatt-Mansarde. Wie ist Manuel Bürgin, der «Chinin» mit FAX AN MAX inszenieren wird, in die Stückentwicklung eingebunden? Gaël Roth: Manuel Bürgin war von Anfang an dabei. Er hat schon im Rahmen des Autorenfrühlings an der Winkelwiese letztes Jahr die ersten Entwürfe des Stückes gesehen und gelesen. Zudem war ja Bedingung für die Teilnahme am Stückwettbewerb der Stiftung Dürrenmatt-Mansarde, dass man sich gemeinsam mit einer freien Theatergruppe bewerben musste. Auch da war er also involviert. Und seitdem wir wissen, dass wir das Stück machen werden, sehen wir uns in regelmässigen Abständen und besprechen uns. Er denkt dabei vor allem an die Inszenierung und ich an den Text. So dass wir uns gegenseitig kontinuierlich und parallel inspirieren. Auch das Kernteam von FAX AN MAX Kathrine von Hellermann (Bühne) und Sandro Corbat (Musik) sind punktuell in die Stückentwicklung eingebunden. Stephan Roppel: Arbeitest Du während der Inszenierung am Stück weiter oder nicht? Gaël Roth: Erfahrungsgemäss ist das Gros meiner Arbeit als Autor zu Probenbeginn abgeschlossen. Meine Aufgabe beschränkt sich ab diesem Zeitpunkt hauptsächlich auf die Klärung von Unklarheiten und das Ausbessern von Details. Meist gibt es aber vor Probenbeginn noch Mal eine Besprechung, in der die Bedürfnisse für die Inszenierung geklärt werden und allenfalls Änderungen am Text vorgenommen werden. So haben wir das schon bei «Peter der Zweite» gehandhabt. Allerdings hat die Erfahrung auch gezeigt, dass jede Arbeit ihre eigenen Ansprüche hat. So dass es auch gut möglich ist, dass ich bei «Chinin» auch während der Inszenierungsphase am Text weiterarbeiten werde. |
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