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JENS NIELSEN

GESPRÄCH ZWISCHEN JENS NIELSEN UND STEPHAN ROPPEL

Stephan Roppel: Die Figuren in Deinen Soloprogrammen gehen allesamt als liebevolle Sonderlinge durch die Welt. Beim Betrachten Deiner Stücke besteht für mich ein besonderer Reiz darin, Alltagswelt anders und neu erfahren zu können. Was hast Du selber für ein Verhältnis zu den Forderungen des Alltags, dazu, was man so machen muss jeden Tag: putzen, einkaufen, Rechnungen zahlen, umziehen, Fahrkarten zeigen und so weiter?

Jens Nielsen: Putzen vermeide ich. Nehmen wir als Beispiel das Einkaufen. Ich kaufe im grossen Coop nähe Schmiede Wiedikon ein. Da sind vielleicht 5000 Artikel zu kaufen? Ich schätze. Regelmässig, das heisst alltäglich, kaufe ich dieselben 5 bis 10. Es ist wahrscheinlich, dass viele andere Menschen auch wenige Dinge kaufen. Ich amüsiere mich im Coop, wenn ich mir manchmal vorstelle, wir alle würden die gleichen 5 Produkte kaufen. Wie klein dann der Coop wäre. Oder er könnte immer noch so gross sein, wie er ist, und so voll, aber es gäbe eben je 200 Meter Gestell mit nichts als Vollreis, Eiern, Kohlrabi, schwarzer Schokolade und Zahnbürsten. Das ist zum Beispiel eine kleine Verzerrung des Alltags, die ich durchdenke. Nun wird die Vorstellung, dass alle Menschen im Coop die gleichen 5 Dinge kaufen, kaum je eintreffen. Möglich aber ist sie durchaus. Viele Menschen kaufen wenige Dinge, aber eben ganz verschiedene. So ist meine Vorstellung gleichzeitig weit von der Realität entfernt und nahe an ihr dran. Mit der Verfolgung solcherlei Gedanken kommt man sehr schnell an die Ränder unserer gewohnten Verhältnisse. Und ich mag die Ränder. Ich sitze auch gerne am Rand im Theater. Auch etwas Alltägliches. Am Rand sitzen hat einen körperlichen Wert für mich. Und der räumliche Rand ist nur scheinbar verschieden vom oben beschriebenen gedanklichen Rand. Ich glaube, beide Tendenzen erzählen von einer Veranlagung, die in mir offenbar wirkt, und die sich auch in meinen Bühnenfiguren zeigt. Natürlich zugespitzt und zum hoffentlich anregenden Vorteil der Zuschauer. Sagen wir zum Vorteil hoffentlich derer, die in der Mitte sitzen. Das hat auch mit Perspektive etwas zu tun. Wilhelm Busch spricht in dem Zusammenhang vom „Maulwürfshügel allerschärfster Betrachtung“. Es braucht nur eine sehr kleine Höhendifferenz zu dem Gegenstand, den man betrachten möchte – eben die 20 cm Höhe eines Maulwurfshügels – um ihn genau sehen zu können. Aber die braucht es.

Stephan Roppel: Was bedeuten Tod und Vergänglichkeit für Dich beim Schreiben?

Jens Nielsen: Am liebsten wäre mir, wenn der Tod das Komischste wäre, was es gibt. Ich glaube, es wäre ein hohes Lebensziel, mit einem Lächeln zu sterben. Ich stelle mir das aber schwierig vor. Auf der Bühne hingegen kann es gelingen. Tragik kann ohne Tod gar nicht entstehen im Theater. Aber auch gute Komik kommt ohne den Tod nicht zustande. Humor kann ohne den Tod entstehen. Aber echte Komik nicht. Deshalb ist die Komik auch gleich ernst zu nehmen wie die Tragik, finde ich. Aber das Spiel mit den Grenzen des Erträglichen ist in der Komödie schwieriger als in der Tragödie. Die Tragödie darf – ja muss über das Ziel hinausschiessen und in den Bereich vordringen, der ganz bestimmt Trauer auslöst. Ganz vereinfacht gesagt, braucht man in der Tragödie nichts anderes zu tun, als zu weit zu gehen. Und schon stellt sich Tragik ein. Diese Grenze ist klar definiert und hat sich auch nicht verändert seit der Griechischen Tragödie. Es ist für einen Autor einfacher, eine Tragödie zu schreiben als eine Komödie. Letztere sollte auch immer versuchen, zu weit zu gehen. Aber sie kann viel leichter scheitern in diesem Versuch. Wie weit ist zu weit in der Komik. Das lässt sich nicht festlegen. Der Witz kann billig werden oder flach oder geschmacklos. Pietätlos oder grob. Ein nicht ganz koscheres Mittel, das ich gerne verwende, um dieses heikle Gewässer zu durchschiffen, ist, dass ich den Tod zwar überdosiert vorkommen lasse. Ihn aber wieder aufhebe. Auch das kann billig wirken. Muss aber nicht. Die Männer zum Beispiel, welche die Erbsenfrau züchtet im gleichnamigen Stück. Die sterben wie die Fliegen, stehen aber einfach wieder auf, weil die Erbsenfrau ihren Tod überwinden kann.

Stephan Roppel: Du schreibst seit acht Jahren regelmässig für die Winkelwiese. Hat sich in den acht Jahren etwas wesentlich verändert? In Deiner Weltsicht. In Deinem Interesse am Theater?

Jens Nielsen: Einerseits bin ich immer noch an denselben Geheimnissen interessiert. Ich schaue immer noch gebannt auf die allerknappsten Dialoge. Und versuche in sie hineinzuhorchen. Wie es möglich ist, dass so wenig dasteht auf dem Papier und der Text trotzdem so gut ist. Etwa bei Beckett. Bei Jon Fosse. Aber auch bei Sophokles. Bei ihm zum Beispiel die Szene der Wiederbegegnung zwischen Elektra und Oedipus im Stück «Elektra». Zwischen all den langen Passagen des Chores und den Monologen steht plötzlich fast nichts mehr da. Und ich habe Tränen in den Augen. Darüber werde ich wohl immer staunen. Dann beobachte ich aber eine langsame Verschiebung von Inhalten, die für mich im Vordergrund stehen. Längere Zeit war es das Gefangensein von Figuren, das mich beschäftigte. In dem Stück, das ich im Dramenprozessor schrieb, waren die Figuren zum Spielen verdammt. Sie mussten immer wieder antreten, um eine neue Variante des Lebens mitzumachen. Mir scheint, dass dieser Schwerpunkt ein wenig abgelöst worden ist. Seit einer Weile bin ich fasziniert etwa vom Phänomen des Grössenwahns. Ich frage mich, inwiefern er als Funktion des Minderwertigkeitsgefühls auftritt. Und ich gebe ihn zum Beispiel einer Figur als Mitgift, die ich als unsicher darstellen möchte. Und als Quelle der Komik ist der Grössenwahn ganz allgemein ein Segen. Ich frage mich aber auch, ob es vielleicht zu unterscheiden gälte zwischen dem kreativen und dem destruktiven Grössenwahn. Ich möchte sagen, es gibt nur ersteren. Der zweite ist gar keiner. Aber das ist wahrscheinlich naiv.

In Verbindung mit Deiner ersten Frage kommt mir noch dies in den Sinn: Mein Interesse beim Schreiben hat sich insofern entwickelt, als ich früher diese Zuspitzung, die ich am Ende meiner ersten Antwort beschrieb, möglichst gross betrieben habe. Ein Mann in «Alles wird wie niemand will» fällt während einer Hamlet Vorstellung Körperteil für Körperteil vom Balkon des Theaters, wo er sitzt, auf eine Frau hinunter, die im Parkett sitzt, und wächst dort mit ihr zusammen. Auch beim Programm «1 Tag lang alles falsch machen» ist es geradezu das Ziel der Erzählerfigur, diese Zuspitzung mit möglichst widernormalem Verhalten zu erzeugen. In letzter Zeit aber – am auffälligsten im neuen Programm «Niagara» – versuche ich die Zuspitzung über eine Realitätsverschiebung herzustellen, die so klein wie möglich sein soll. Bis zu dem Punkt, wo vielleicht nur noch die Art, wie ich erzähle, eine Verschiebung herstellt, während das Beschriebene vielleicht völlig alltäglich wäre. Ganz so weit bin ich allerdings noch nicht.

Stephan Roppel: Du schreibst ja Texte für Dich selber und auch Texte, die Figuren zueinander in Beziehung setzen, wie diejenigen für die Gruppe Trainingslager. Wie unterscheiden sich für Dich diese Anforderungen?

Jens Nielsen: In den Monologen, die ich mir selber schreibe, kommen ja auch andere Figuren vor, die ich einfach durch mich reden lasse, also durch den Erzähler, in indirekter Rede zum Beispiel. Diese Form der Behandlung von Figuren liegt mir, glaube ich, am nächsten. Es entspricht ja auch am ehesten meinem natürlichen Selbst. Ich bin auch eine Person, die andere Personen trifft oder von anderen erzählt, die ich getroffen habe. Auch Figuren die miteinander in Beziehung treten, lasse ich gerne so sprechen. Die drei Männer in «Keine Aussicht auf ein gutes Ende» etwa. Sie haben allesamt verschiedene Textpassagen, in denen sie einander erzählen, wie sie mit Dritt-Personen geredet haben, die nicht zum Figurenpersonal des Stückes zählen. So gesehen ist die Arbeit an Soloprogrammen und Ensemblestücken recht ähnlich. Es fällt mir auch auf, vielleicht unterscheidet mich das von anderen Dramatikern, dass ich gerne alle Figuren des Ensembles auf einmal reden lasse. Nicht gleichzeitig. Aber in einem einzigen multilateralen Dialog. Ein befreundeter Autor machte mich kürzlich darauf aufmerksam. Ich sagte, ich hätte eigentlich Mühe, mehr als 4 Personen dialogisch gut zu verquicken in einer Szene. Da sagte er, dass eigentlich in den meisten Theaterstücken sowieso fast nie mehr als zwei Personen pro Szene reden. Das sei immer so gewesen. Und es sei mit Ausnahmen auch heute noch so. Und tatsächlich. Er hat recht. Immer gehen zwei hinaus und kommen erst wieder, wenn die andern beiden ausgeredet haben. Ich finde das aber unanständig den Figuren gegenüber, sie einfach schweigen oder gar abtreten zu lassen. Das ist albern, ich weiss, aber es ist so. Auch wenn ich selber spiele und als Figur abtreten muss, bin ich immer ein wenig beleidigt.

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