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LEOPOLD VON VERSCHUER

GESPRÄCH ZWISCHEN LEOPOLD VON VERSCHUER UND STEPHAN ROPPEL

Stephan Roppel: Du hast den «Monolog des Adramelech« aus dem Französischen übersetzt. Auf welche Schwierigkeiten bist Du dabei gestossen?

Leopold von Verschuer:
Den «Monolog des Adramelech» zu übersetzen war etwas wie ein alchimistischer Vorgang, der mich in die Tiefen meiner eigenen Sprache hinabsteigen liess. Ihre Ingredienzien lagen plötzlich aufgefaltet vor mir und mussten, den Verfahren des Autors folgend, neu zusammengesetzt werden. In der Fülle der Wörter, die mir da aus dem Französischen entgegensprangen, galt es zunächst herausfinden, welche davon Neuschöpfungen von Valère Novarina waren und welche mir schlichtweg unbekannt. Viele dieser erfundenen Wörter erzeugen aber ein Echo auf Bekanntes, Vertrautes, bereits Gehörtes, es gibt meist einen Wortstamm, aus dem dieses Wort neu gebildet wurde. Dieser Vorgang nun war in unserer Sprache nach- und neu zu vollziehen. Die grösste Aufgabe jedoch bestand darin, den unglaublichen Fluss dieser Sätze, den vitalen Rhythmus dieser Sprache auch im Deutschen wieder zu erschaffen. Das Französische verfügt über eine solche Fülle homophoner Wörter (ähnlich klingend, aber von verschiedener Bedeutung), als sei diese Sprache durchflochten von Binnenechos, die in jeder Silbenreihe mehrere Worte anklingen lassen, sodass sie in dem vitalen Gebrauch, dem Valère Novarina sie unterzieht, zu einer machtvollen Orgel wird.

Stephan Roppel:
Auch dieser Monolog ist, wie schon «Der rote Ursprung« am Theater Neumarkt auf der Textebene sehr kryptisch, um nicht zu sagen unverständlich, wenn man versucht, herkömmlich Lese- und Sehgewohnheit anzuwenden. Welche Anforderungen ergeben sich daraus für Dich als Schauspieler, der mit der Materie schon aus der Übersetzung vertraut ist?

Leopold von Verschuer:
Der Umgang mit Texten von Valère Novarina, sei es «Die eingebildete Operette«, »Der rote Ursprung» oder der «Monolog des Adramelech», bedeutet immer ein Verlassen der gewohnten Wege des Verstehens. Hier gibt es keine Handlung zu verfolgen, keine Erzählung nachzuvollziehen. Alles beginnt hier im Hören. Dann stösst man unablässig auf Bekanntes, bereits Vernommenes, Aufgeschnapptes oder von Kind an Vertrautes, nur in lustvoll neuer Zusammensetzung. So wie ein Kind intuitiv in einer Geschichte ihm noch unverständliche Worte erahnt, sich von ihnen berühren lässt – und wie richtig ist es, dass das Begreifen ja die Berührung enthält – so geschieht hier Satz für Satz ein Hineinhören in die Echos, die wirklich jeder dieser Sätze auslöst. «Wir sind am Zerschmetterling zerstoben« – Schmetterling und zerstieben, zerschmettern und sterben – Gegensätze verbinden sich und ein poetisches Drittes entsteht. Eine vital überwältigende Komik entfaltet sich da vor uns. „Ich schreibe durch die Ohren“ begann Valère Novarina seinen berühmten „Brief an die Schauspieler“. Man versteht ihn auch nur durch die Ohren!

Stephan Roppel:
Was ist Deine Lust an der Arbeit mit Texten von Novarina?

Leopold von Verschuer:
In der Uraufführung von «Acte inconnu» (Der unbekannte Akt) auf der vierzig Meter riesigen Innenhofbühne des Papstpalastes von Avignon hörte ich 3000 Zuschauer vom Gelächter erfasst werden. Natürlich ist es ein Geschenk, die Wirkung dieser Texte im französischen Original am eigenen Schauspielerleib erlebt zu haben, sie dann mit dieser Erfahrung im Leibe zu übersetzen, um nun dieses Erlebnis gleichsam im deutschsprachigen Spiegelraum aufs neue zu vollziehen. Als ich erstmals 1994 Novarinas Texten begegnete, hatte ich den Eindruck, zur Wurzel meiner allerersten Attraktion durch das Theater zurückzukehren: Sprache nicht nur als Informationstransportmittel erleben zu müssen, sondern wieder als ein physisches Erlebnis, so physisch wie der Tanz, ein Nurejew der Worte werden zu dürfen.

Stephan Roppel:
Welche Zuhörhaltung und Zuschauhaltung kannst Du dem Publikum empfehlen?

Leopold von Verschuer:
Schauen und hinhören. (Niemand wird sich langweilen, der sich in einem Lande, dessen Sprache er nicht beherrscht, auf einer Caféterrasse neugierig niederlässt.) Getrost jeden roten Faden ergreifen, den man zu erkennen glaubt. Und ihn ebenso bereitwillig wieder fallen lassen, wenn er sich wieder aufzulösen scheint. Dieses Spiel ist dicht durchwirkt von einer Vielzahl vielfarbiger Fäden. Sich dem Moment hingeben. Getrost lachen, wo etwas zum Lachen ist. Den eigenen Echos trauen. In dieser Untergrundbahn erklingen viele Stimmen aus vielen Welten, heiligen und profanen, da sitzen nebeneinander König und Homunkulus, Politiker und Hündchen, Prophet und Postbote, wird geflucht und gefeiert, erzählt und erfunden. Auf der Bühne steht ein Vielmensch. Lust darauf haben, das Unerhörte dieser Welt zu hören.

Stephan Roppel:
Das war jetzt sehr aufschlussreich. Ich stelle keine weiteren Fragen, schon gar keine Inhaltlichen, und freue mich aufs Zuschauen und Zuhören. Ich wünsche Die viel Spass bei der Vorbereitung und bedanke mich für das Gespräch.

Link zu «Homo automaticus - Der Monolog des Adramelech»

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