LOTHAR KITTSTEIN
GESPRÄCH MIT DEM AUTOR LOTHAR KITTSTEIN Stephan Roppel: In ihrem neusten Stück sind drei Bundeswehrsoldaten im Auslandeinsatz. Einmal sagt Marie, die junge Soldatin: „Ich tu das, was richtig ist. Ich tu’s mit allem, was ich hab. Verstehst du? – Ich hab genau den Körper, den ich dafür brauche.“ Wie hoch ist ihr narzisstischer Antrieb für diesen Kriegseinsatz. Geht es um Sinnsuche, um Lifestyle, um Abenteuerlust? Was treibt die Figuren dazu, in einen Krieg an einem entlegenen Ort der Welt zu ziehen?
Lothar Kittstein: Ich denke, den dreien geht es – in unterschiedlicher Gewichtung – tatsächlich um all das, was Sie genannt haben. Die Grenzen sind aber fliessend. Der Stolz auf die eigenen Fähigkeiten, zumal den eigenen Körper und zum Beispiel bei Marie das Bewusstsein, sich auf einer heiligen Mission zu befinden, sind untrennbar miteinander verbunden. Man kann keine scharfe Grenze ziehen. Auch Sinnsuche ist es: Jost scheint zwar illusionslos und abgebrüht, findet aber in dieser fremden, islamisch geprägten Welt doch viel, wonach er sich sehnt. Auch wenn der Mann das wahrscheinlich so nie zugeben würde. Zugleich sehe ich Flucht vor der Leere des Alltags. Lorenz hatte offenbar zu Hause kein besonders gutes Leben. Auf gewisse Weise hat der Zufall die beiden Männer nach Afghanistan geführt. Sie haben sich treiben lassen. Lorenz sagt einmal, „Scheiss drauf, ich mach Zeitsoldat“. Gerade aus dieser Leere heraus sehnt er sich nach Sinn, gerade das macht Marie für ihn so furchtbar anziehend. Daraus entsteht die Dynamik der Eskalation im Stück. Stephan Roppel: Die drei Figuren befinden sich in einer Ausnahmesituation: Der Jeep hat eine Panne und sie sind für eine gewisse Zeit – fernab vom Kriegsgeschehen – auf sich selber zurückgeworfen. Was bewirkt diese Wartesituation? Wie beschreiben Sie diesen biographischen Moment aus der Sicht der drei Figuren? Lothar Kittstein: Es ist eine Zäsur, in der sie mit sich selbst konfrontiert werden, mit den Widersprüchen des eigenen Lebensentwurfs und der Aufgabe, die ihnen gestellt ist. Die Fahrt, auf der sich die drei befinden, ist weder besonders wichtig, noch haben die drei die Möglichkeit, hier etwas Bedeutendes zu leisten. Sie haben, da ihr Wagen defekt ist, einfach nur die Aufgabe zu warten. In dieser Lage, die an sich keinerlei Sinn hat, eskalieren die Sehnsüchte und Aggressionen. Für Marie ist es nach der Hektik der Ankunft im Land der Moment, in dem sie erstmals wahrnimmt, was es bedeutet, im Einsatz zu sein. Die beiden Männer werden von Erinnerungen überfallen, die sie in der Alltagsroutine sonst gerne verdrängen. Plötzlich eröffnet sich etwas, was im militärischen Alltag nicht vorgesehen ist – die Gelegenheit nachzudenken. Deshalb entwickelt die Situation solche Sprengkraft. Stephan Roppel: In einem früheren Stück von Ihnen – Hotel Kairo – betrachten und bewerten drei Menschen aus dem Westen durch die Fenster eines klimatisierten Hotelzimmers eine andere Kultur. Auch hier ist eine gewisse Angst-Lust bezüglich des Fremden spürbar. Warum wählen Sie Settings, in denen der Kontakt und die Konfrontation mit dem Andersartigen nicht direkt stattfinden? Lothar Kittstein: Das Fremde ist für mich am spannendsten, wenn man es nicht sieht. Das ist ja das Muster, nach dem gute Horrorfilme verfahren. Aber es geht um mehr als Spannung. Das Stück führt tatsächlich die Konfrontation mit dem Eigenen vor – viel mehr als die mit dem Fremden. Mich interessieren die Widersprüche der „westlichen“ Position, die Unmöglichkeit der Aufgabe, die den Soldaten gestellt ist – das treibt das Stück voran. Die Konstruktion des Stücks ist ja mit Absicht zunächst ganz undramatisch. Dass die drei in dem Haus stranden, hat keinerlei militärische oder biographische Bedeutung. Es steht nichts Grösseres auf dem Spiel, die Kontrollfahrt, auf der sich die drei befanden, war zwar etwas Besonderes, aber offenbar nicht weiter brisant. Es kommt zu keinem Gefecht, keiner Konfrontation mit der Aussenwelt. Die Soldaten sind der enormen, bedrückenden Stille der Umgebung ausgesetzt, in der sich scheinbar nichts regt. In „Hotel Kairo“ wendete sich die Situation ins Surreal-Absurde, da die Fantasien der Eingesperrten ein Eigenleben gewinnen, die Realität der Situation sich mehr und mehr zersetzt. In „Haus des Friedens“ bleibt den Figuren nicht einmal mehr dieses Ventil. Der Druck steigt deshalb an, bis es zu einer Eskalation kommt, die an den entscheidenden Stellen bezeichnenderweise ohne Worte passiert. Es ist eine Leerstelle. Etwas Unbeschreibliches und Un-Besprochenes. Ich wollte dem Stück nicht die Wohltat einer Auflösung gönnen, darum auch das offene Ende. Stephan Roppel: Für mich ist „Haus des Friedens“ unter anderem auch ein Stück über Projektionen. In zweierlei Hinsicht: Projektionen auf eine unverstandene islamische Kultur einerseits, Projektionen auf das direkte Gegenüber der beiden anderen Figuren im Stück, insbesondere auf die Figur der jungen Frau. War das ein Antrieb beim Schreiben? Oder ist das meine Lesart des Textes? Lothar Kittstein: Das ist ein wichtiges Element in der Dynamik des Stücks. Weil Projektionen sich so schwer widerlegen, projektive Sehnsüchte sich so schwer befriedigen und projektiver Hass sich so schwer widerlegen lässt. Da die Aussenwelt in diesem Stück so beharrlich schweigt, da sich der Feind nicht zeigen will, richten sich die Projektionen auf bzw. gegen die eigenen Leute. Damit will ich nicht sagen, dass das, was die Soldaten beispielsweise über die islamische Gesellschaft sagen, falsch ist. Jost und Marie sagen vieles, was sehr wahr ist. Für mich persönlich war die Konfrontation mit einer Welt, die – für uns ganz ungewohnt – selbstverständlich vom Glauben geprägt ist, teilweise von religiösem Fanatismus, ein wichtiger Antrieb beim Schreiben. Weil diese Konfrontation eben auf Leerstellen, auf Widersprüche in der eigenen Welt verweist. Um die geht es im Stück. Übrigens ist der Feind im Stück vielleicht nicht völlig unsichtbar. Man könnte sagen, dass Marie in mancher Hinsicht seine Stellvertreterin ist. Darum zielen auch viele der Projektionen im Stück auf sie. Stephan Roppel: Marie ist aber, wie die anderen Figuren auch, bei allem Fanatismus eine höchst komplexe und plastische Figur. Das gefällt mir übrigens sehr am Stück. Was sind ihre Widersprüche und Gegensätzlichkeiten. Womit hat sie persönlich zu kämpfen? Lothar Kittstein: Maries fester Glaube mischt sich auf eigenartige Weise mit einem diesseitigen, technokratischen Optimismus der Machbarkeit. Der wird eigentlich schon durch die Grundsituation des Stücks – der Jeep ist ja defekt – auf fast groteske Art widerlegt. Marie ist eine wahnsinnig starke Person, hält viel aus und hat eine klare Meinung. Zugleich aber kommt sie, wie angedeutet wird, aus einer behüteten Umgebung, sie ist keine geborene Kämpferin, sondern hat sich in die Welt des Krieges, die ihr fremder ist, als sie selbst glaubt, durchgeboxt. Da liegen verborgene Widersprüche, die sie für die Männer faszinierend und zugleich angreifbar machen. Stephan Roppel: Hat der Themenkomplex Schuld-Unschuld unterschiedliche Bedeutung für die Figuren? Welche? Lothar Kittstein: Für die Männer gibt es eine Geschichte von Schuld, die ihnen in der Wartesituation geradezu gespenstisch in den Rücken fällt. Damit hat Marie scheinbar nichts zu tun. Aber sieht man genau hin, hat sie – offenbar in der Ausbildung – auch eine Geschichte erlebt, die mit Gewalt zu tun hat. Das Detail zeigt, dass auch sie nicht unschuldig und gewiss nicht in jeder Hinsicht naiv in diesen Einsatz gezogen ist. Sie hat über die Konsequenzen dessen, was sie tut, nachgedacht. Sie hat Gewalt bereits erlebt. Ich wollte die Überzeugungen, die sie vertritt, sozusagen „erden“, deshalb ist sie auch von den drei Soldaten am besten über neue Entwicklungen der Waffentechnik informiert. Sie hat sich, genau genommen, als einzige wirklich Gedanken über die Zukunft des Krieges gemacht. Dazu durfte sie, dramatisch gesehen, nicht ganz unschuldig ins Stück hineingehen. Letztlich liegt auch in ihrem Selbstbewusstsein, in ihrem Stolz auf die eigene Position vielleicht so etwas wie Schuld – sie selbst würde vermutlich sagen: etwas Sündhaftes. Stephan Roppel: Teilen Sie persönlich die eurozentristische Vorstellung, dass sich verschiedene Kulturen bezüglich der Werte der Aufklärung auf unterschiedlichen Entwicklungsstufen befinden. Oder ist das bloss eine vorgeschobene Heuchelei, die zur Durchsetzung geopolitischer westlicher Interessen dient. Die ältere Figur Jost nimmt da ja eher eine illusionslose, kulturpessimistische Haltung ein. Lothar Kittstein: Angesichts des Stücks ist das vielleicht überraschend, aber ich glaube tatsächlich an diese Entwicklungsstufen. Der sogenannte Westen hat sich lange – nicht ohne an sich selbst und an anderen schuldig zu werden – zu Demokratie und Menschenrechten vorgekämpft. Diese Werte sind für mich keine Erfindung, sondern Universalien, die verteidigt werden müssen. Ich glaube, dass es Gesellschaften gibt, die sich in dieser Hinsicht noch bewegen müssen. Wie das geschieht und wie man dabei Einfluss nehmen kann, ohne schuldig zu werden, ist gerade das Interessante und auch Thema des Stücks. Würde ich nicht an die Werte der Aufklärung glauben und daran, dass diese Werte – das sage ich offen – den Werten der Religion überlegen sind und sie ersetzen müssen, würde für mich im Stück eine Fallhöhe fehlen. Aber man verliert etwas, wenn man an Aufklärung glaubt. Einen Trost, eine Gewissheit, eine Geborgenheit. Und da wird es dramatisch interessant, an dieser Schnittstelle entsteht die Tragik der Figuren. Jost ist ein sehr trauriger Mensch, wenn man seinen Monolog über den letzten Propheten ansieht. Er sehnt sich nach etwas, das verloren ist. Künstlerisch ist das für mich das Interessante. Persönlich will ich betonen: Wer glaubt, dass keine objektive Notwendigkeit besteht, Menschenrechte weltweit durchzusetzen, punktuell auch mit Gewalt, der sollte einmal mit Schwulen im Iran oder im Irak, mit Frauenrechtlerinnen in Afghanistan, mit Opfern genitaler Verstümmelung im Sudan reden. Stephan Roppel: Das ist jetzt ein interessanter Punkt. Die Aufklärung hat sich gerade in Abu Ghraib und jetzt jüngst bei der Stürmung der Schiffe vor dem Gazastreifen, wo mit Gewalt Probleme gelöst werden sollen, diskreditiert. Die Machtfrage ist, wer die Spielregeln festlegen und somit definieren kann, was die gute und was die böse Gewalt ist. Ist man da nicht schon mitten in der unheilvollen Spirale eines Glaubenskriegs? Lothar Kittstein: Die Frage führt ins Zentrum des Problems. Ich denke, die Aufklärung hat sich nicht diskreditiert. Dass der objektive Massstab fehlt, der festlegt, was richtig und was falsch ist, macht Aufklärung nicht obsolet, im Gegenteil: Das ist Voraussetzung für Aufklärung! Dass wir argumentativ darum kämpfen müssen, was richtig und was falsch ist, dass die übergeordnete Instanz fehlt, zwingt uns, Wahrheit immer neu zu suchen. Richtschnur dieser Suche können für mich nur die Menschenrechte und, um es pauschal zu sagen, westliche Werte sein: die Würde des Einzelnen, Freiheit, Demokratie. Was die Gaza-Flotte angeht, bin ich der Meinung, dass die Welt Israel vorschnell verurteilt hat. Im Stück geht es tatsächlich um das Dilemma, vor dem auch Israel ständig steht. Es geht um die Verluste, die wir in dieser Auseinandersetzung erleiden, und ja: auch um die Schuld, die wir vielleicht oft auf uns laden, selbst wenn wir das Richtige tun. Darin liegt für mich die Tragik unter diesem Stück. Deshalb löst sich im Stück der Knoten dieser Tragik auch nicht auf. Der Einsatz geht weiter. Ob Lorenz seinen Vorsatz, den er gegen Ende fasst, wahrmacht, ist für mich sehr fraglich. Es gibt, fürchte ich, für die drei Soldaten kein Entkommen.
|