zurück

RETO FINGER

GESPRÄCH ZWISCHEN RETO FINGER UND STEPHAN ROPPEL

Stephan Roppel: Du hast an den Anfang Deines Stückes ein Melville-Zitat gestellt: «Nichts erbittert einen ernsthaften Menschen so sehr wie passiver Widerstand». Warum?

Reto Finger: Unsere Gesellschaft erfährt in mancher Hinsicht eine unglaubliche Beschleunigung. Die Art und Weise, wie sich Menschen begegnen und miteinander reden, hat sich in den vergangenen Jahren verändert, auch in einer Wechselwirkung mit den neuen technischen Kommunikationsmöglichkeiten. Wenn sich nun jemand diesem System entzieht ohne zu flüchten und ohne sich damit den Stempel des Aussteigers aufdrücken zu lassen, dann kann das schon provozierend sein: Ein Rad in einer Gesellschaft, das sich durch passiven Widerstand weigert, mit einer normierten Geschwindigkeit mitzudrehen. Das Zitat von Melville ist hundert Jahre alt, gleichzeitig
aber hochaktuell.

Stephan Roppel: Ist Roberts passiver Widerstand eine Utopie?
Wohin soll diese Haltung denn führen?

Reto Finger: Robert zieht in den Keller. Er reist nicht ab und ward nie mehr gesehen. Das ist ein Unterschied. Passiver Widerstand
kann mehr sein als eine Utopie. Die Verweigerung als Haltung gegenüber einigen Entwicklungen unserer Gesellschaft wird immer wichtiger werden.

Stephan Roppel: Was würden Deine Figuren gerne erreichen
und was hindert sie daran?

Reto Finger: Die Figuren in «Schwimmen wie Hunde» erkennen,
dass in ihrem Leben nicht mehr alles möglich ist. Die Vorahnung dieser Endlichkeit bringt einige der Figuren dazu, sich dagegen aufzulehnen. Im Stück geht es um die Umwege, die die Figuren gehen. Charlotte tritt eine Flucht nach vorne an und fällt Entscheidungen, selbst wenn es Kompromisse sind. Ingrid hofft darauf, ihr Glück berechnen zu können und Robert schliesst sich ein. Das sind drei verschiedene Strategien auf der Suche nach dem sehr subjektiven und flüchtigen Gefühl einer inneren Zufriedenheit.

Stephan Roppel: Robert flüchtet in den Keller, weil er am Status Quo seiner Beziehung festhalten möchte. Steht er für eine wertkonservative Auffassung von Beziehung?

Reto Finger: Robert setzt der Beschleunigung zwischen ihm und Charlotte eine eigene Entschleunigung entgegen. Das hat nicht mit einer wertkonservativen Auffassung von Beziehungen zu tun. Er sehnt sich nach Verbindlichkeit und Verwurzelung. Diese Werte müssen auch in offen gelebten Beziehungen eine Rolle spielen, davon bin ich überzeugt.

Stephan Roppel: An der Abschlusspräsentation vor einem Jahr wurde ausgesprochen viel gelacht. Hast Du eine Komödie geschrieben?

Reto Finger: Der erste Teil kann schon komisch sein, beim dritten bin ich mir weniger sicher. Ich habe mich nie bewusst um das Genre gekümmert, auch wenn das während der vielen Gespräche mit dir und Erik Altorfer immer wieder Thema wurde. Richtig ist, dass ich mich für eine Komik interessiere, der eine grosse Not zugrunde liegt.
In meinen Bekanntenkreis gibt es zwei typische Reaktionen auf das Stück. Die einen sagen, wie können diese Figuren nur so kalt sein, dass sie so handeln, wie sie es tun. Und die anderen fragen nach der riesigen Verzweiflung, die diesen Handlungen zugrunde liegen muss. Letzteres interessiert mich. Ob das schlussendlich in Form einer Komödie oder einer Groteske versucht wurde, müssen andere beurteilen.

Stephan Roppel: Die Figuren reden sehr eloquent über ihre Beziehungssituationen. Leiden sie unter ihrer eigenen Eloquenz und diesem permanenten Metadiskurs?

Reto Finger: Viele Menschen sind tatsächlich fähig, über sehr viel mehr zu reden, als sie zu fühlen vermögen. Der Kopf ist kompetenter geworden als der Bauch. Im Stück wird einmal gesagt, Charlotte und Robert wollten sich wie Erwachsene trennen. Dieser Fehlschluss, wonach das Ende einer Beziehung mit kopflastigen Gesprächen erreicht werden könne, ist fatal und symptomatisch für die Figuren in «Schwimmen wie Hunde».

Stephan Roppel: Du sagst «Wie Erwachsene» – Diese Wendung gebrauchen üblicherweise Kinder. Ist «Schwimmen wie Hunde» auch ein Stück über die Infantilisierung unserer Gesellschaft?

Reto Finger: Nein, im Gegenteil. Es ist vielleicht ein Stück über die Verarmung der «Bauchkompetenz». Kinder verfügen idealerweise über ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Bauch und Kopf. Das Erwachsenwerden hat oft mit dem einseitigen Zwang zu tun, sehr viel mehr den Kopf zu gebrauchen als den Bauch. «Sich trennen wie Erwachsene» ist deshalb eine Vereinbarung zwischen Robert und Charlotte, weil sie ihre Trennung in gewohnten und geordneten Bahnen verlaufen lassen wollen. Selbstverständlich muss das scheitern.

Stephan Roppel: Ist «Schwimmen wie Hunde» ein urbaner
Stoff?

Reto Finger: Zürich ist nicht New York. Der Austausch zwischen Stadt und Land in der Schweiz ist gross, der Unterschied klein. Ich glaube, «Schwimmen wie Hunde» könnte im Puls 5 ebenso gut recherchiert worden sein, wie in Innereriz, einem kleinen Weiler am Fuss des Brienzer Rothorns.

Stephan Roppel: Viktor sagt zweimal: «Ist kein Job zum alt werden.» Er steht für das Provisorische und Unverbindliche. Wertkonservativismus à la Robert versus Unverbindlichkeit à la Victor. Sind das die beiden Pole des Stückes?

Reto Finger: Ja. Verbindlichkeit hat auch mit einer Form von Sterben zu tun. Jeder verbindliche Entscheid ist ein Entscheid gegen ganz viele andere Dinge, die ich in diesem Leben dadurch nicht mehr tun werde. Damit hadern auch meine Figuren, jede auf ihre Weise. Bei Victor ist die Sehnsucht nach Unverbindlichkeit und Wiederholbarkeit gross. Er will sich sämtliche Optionen offen halten.

Stephan Roppel: Was war dein inhaltlicher Motor beim Schreiben von «Schwimmen wie Hunde»?

Reto Finger: Das war Roberts anachronistische Beharrlichkeit.
Von ihr bin ich sehr fasziniert.

zurück