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STEFAN SCHMIDTKEGESPRÄCH ZWISCHEN STEFAN SCHMIDTKE UND STEPHAN ROPPEL Stefan Schmidtke hat «Sommerwespen im November» von Iwan Wyrypajew aus dem Russischen übersetzt. Er arbeitet als leitender Dramaturg am Düsseldorfer Schauspielhaus. Stephan Roppel: Beim ersten Lesen des Stückes habe ich sehr gelacht, zum Beispiel bei den Schilderungen und Zeugenaussagen über den Verbleib von Markus. Ich erinnerte mich an die Absurdität der Texte von Daniil Charms. Woran liegt das? Gibt es da eine Verwandtschaft in der Art und Weise wie etwas geschildert wird? Stefan Schmidtke: Charms und Wyrypajew haben unbestritten viel Gemeinsames. Der Humor des Verschweigens, also Wirkung zu erreichen mit etwas, das nicht ausgesprochen wird (nicht aufgeschrieben ist) – und durch unsere eigene Fantasie in unseren Köpfen aus Andeutungen oder Assoziationen entsteht, das ist bei beiden so. Und auch die «Vielwortigkeit» unter der das Verschweigen verdeckt ist. Aber Achtung: Charms schreibt Literatur. Da ist «es» beim Lesen dann passiert. Das praktisch «Unmögliche» ist auf dem Papier leichter herzustellen, damit es im Kopf stattfinden kann... Bei Wyrypajew ist aus dem Aufgeschriebenen noch eine Szene zu inszenieren. Es kommt also noch die Welt des Physischen dazu, Raum, Körper… und dann kommt erst die Theater-Wirkung… Stephan Roppel: Zum Thema Raum – bei «Sommerwespen» fällt auf, dass Wyrypajew die Regieanweisungen sehr knapp formuliert, beispielsweise enthalten sie keine Informationen über den Raum, in dem sich die Figuren befinden, einzige Angabe: «Auf der Bühne», was lässt sich daraus schliessen? Stefan Schmidtke: Zu seinen ersten Texten hat Wyrypajew immer einen kleinen Vorspann verfasst, in dem er dem Regisseur erlaubte mit dem Text zu arbeiten und zu verstehen gab, dass es sich bei seinen Stücken immer nur um eine Anlage für ein zu entwickelndes Spiel handelt. Im Prinzip sind seine Texte immer Sprachkompositionen für ein Thema, ein zu erzeugendes Gefühl. Das ist verflixt, weil Schauspieler immer sehr konkret arbeiten und etwas spielen müssen, immerhin sind sie als lebendige Menschen auf der Bühne. Sie müssen Haltungen und Situationen aufbauen. Wyrypajew geht es genau um Haltungen. Diese können aber transportiert werden auch ohne konkreten (Figuren-) Realismus im Spiel. Weder durch Psychologie noch durch reine formale Spielweise. Mehr kann ich da nicht sagen. Selbst die Namen der Figuren sind so etwas wie Schall und Rauch. Deren Haltung aber ist wichtig, und der Haltungswechsel. Seine Texte sind Aufforderung sich mit Vergänglichkeit zu beschäftigen. Und da wieder ein Paradoxon: Auf der Bühne findet konkret etwas statt, verschwindet aber auch sofort wieder… Stephan Roppel: Warum heisst Sarah Sarah? Warum heisst Markus Markus? Gibt es einen konkreten biblischen Hintergrund zu «Sommerwespen im November» so wie bei Wyrypajews Stück «Juli»? Stefan Schmidtke: Der Hintergrund wird insofern biblisch, wenn der Regisseur diese Namen als Hinweise oder Assoziationen wahrnimmt – ernst nimmt – und sich also beim Inszenieren mit von biblischen Themen und Sinnbildern (die er kennt, die in unserer Kultur liegen) leiten lassen will. Konkret ist nur die Andeutung. Der Gestaltungsraum ist offen. Vielleicht wird es irgendwann einmal Menschen geben, die Markus nicht mit der Bibel verbinden. Interessant wäre dann, wie diese mit den Themen des Stückes umgehen. Es geht schon um Wahrheit und Verrat, um Vertrauen… Stephan Roppel: Es gibt aber in dem Stück offenbar sich widersprechende Wahrheiten. Was treibt die Figuren voran? Stefan Schmidtke: Die Suche nach der Wahrheit-Wahrheit, nach dem letztendlich Gültigen. Und es gibt hinter jeder Wahrheit immer noch etwas anderes. Und kaum spürt man dieses als Zuschauer (immerhin transportiert durch die Spieler), wollen die Figuren das auch noch weiter ergründen. Hier stimmt die Wirkung auf den Zuschauer überein mit der nächsten Motivation für die Figuren weiterzuforschen… Ein scheinbares Miteinander bei der Suche. Hier können Text und Spiel aktiv auf den Zuschauer übergreifen... eine Art von Zuschaueraktivität schaffen – die natürlich eine emotionale Aufladung ist. Die Leute dürfen schön sitzen bleiben... Stephan Roppel: Stichwort Verrat. Das ist eine sehr moralische Kategorie. Geht es nicht vielmehr darum, dass die Figuren in dem Stück das Bedürfnis haben nach einer zuverlässigen Erzählung der Welt? Hier stosse ich übrigens an logische Verständnisgrenzen mit diesem Stück. Es führt den Anspruch an eine zuverlässige Erzählung der Welt ad absurdum. Liegt es am Anspruch oder an der Welt? Was ist Deiner Meinung nach ein Fixpunkt, an dem man sich orientieren kann? Stefan Schmidtke: Ja, ich meinte mit «letztendlich Gültigem» eher Erkenntnis. (Da gibt es diesen berühmten Baum in der Bibel). «Zuverlässige Erzählbarkeit der Welt» scheint mir ein Begriff des Diskursiven zu sein. Es gibt sowohl als auch. Und das kennen wir ja heute zur Genüge. Deshalb wahrscheinlich auch die biblischen Namen, als Reibung am, ja sagen wir mal «Dahinter»… Ganz gewiss, das sind Verständnisgrenzen der Logik. Eben Theater. Nicht so sehr Abbild von Welt sondern eine gedachte oder denkbare Welt… Stephan Roppel: Welche Bedeutung haben Drogen und Regenwetter für die Figuren? Stefan Schmidtke: Das ist nicht einfach nur Regenwetter. Das ist ein schier unaufhaltsamer Dauerregen. Das führt geradewegs in die Sintflut… Könnte…Die Drogen kommen für mich da nicht zum Einsatz. Obwohl sie im Text auftauchen. Stephan Roppel: Ist die mangelnde Fähigkeit, unterschiedliche Wahrnehmungen und Konstruktionen von Welt stehen zu lassen ein kulturelles Problem? Reibt sich das Stück an der hiesigen Kultur und spielt womöglich mit unserer Logik? Ist das Nebeneinander verschiedener Realitäten im russischen Kulturkreis selbstverständlicher? Stefan Schmidtke: Das ist durchaus ein kulturelles Problem, allerdings nicht durch Geografie zu verorten. Da geht es nicht um hiesig oder dort. Das hat mit der jeweiligen inneren Konstitution zu tun. Unsere gesamte europäische Kultur kann sehr gut mit dem Nebeneinander verschiedener Realitäten leben. Das hat sie zu dem gemacht, was sie ist, und auch aufnahmefähig für scheinbar Fremdes. Stephan Roppel: Kann man sich über Sprache überhaupt verstehen, oder ist «Sommerwespen...» Deines Erachtens eine grundsätzliche Infragestellung menschlicher Kommunikation? Wo sind Grenzen der Sprache? Stefan Schmidtke: Wyrypajews Theaterkosmos ist ein gigantisches Sprachgebilde. Und Wyrypajew ist sehr dialektisch: «Nichtverstehen» transportiert er durch Sprechen. Das hatten wir schon, diese «Vielwortigkeit». Nicht unverständliches Sprechen, nein, durch ganz detailliert logisches Erklären von Zusammenhängen – darin liegt das «Nichtverstehen». Und das ist auch eine Art Seelenentäusserung, bis zum Letzten. Ja, das kann auch manchmal das Ende von Kommunikation sein. Aber wir sind wie gesagt im Theater. Da kann Kommunikation auch ohne Worte weitergehen… |
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